Das zerbrochene Siegel - Roman
fielen Klause und Quelle in den Rieneckschen Besitz zurück. Und mit der Zeit geriet sie in Vergessenheit. Es ist schon länger her, und es war reiner Zufall, dass ich sie entdeckt habe.«
Mit einem trockenen Auflachen schüttelte Lothar den Kopf. »Das ist nicht zu glauben«, murmelte er. Laut fragte
er: »Wie kommst du darauf, dass Bruder Bartholomäus sich dort aufhält?«
»Kürzlich hörte ich des Nachts Geräusche vor meiner Hütte, und als ich nachsehen ging, entdeckte ich, dass Vorräte aus meinem Verschlag …« Garsende verstummte.
Lothars dunkle Augen glänzten, und seine Züge waren so angespannt wie die Sehne eines Bogens. Etwas Fremdes ging von ihm aus.
Sie blinzelte. Langsam glitt ihr Blick über den Umhang, den er trug, dann an der Schwertscheide entlang, die darunter hervorschaute, und blieb schließlich am Saum des Mantels haften.
»Nein«, hauchte Garsende.
Sie spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich und der Boden unter ihren Füßen nachgab.
»Was ist dir?«, hörte sie ihn fragen. Seine Stimme klang weit entfernt in ihren Ohren, und zugleich hörte sie die Worte des Burggrafen wie ein Echo in ihrem Kopf.
»Jemand, der sich aufs Töten versteht«, flüsterte sie.
Lothar trat rasch auf sie zu, doch sie taumelte vor ihm zurück. Ihre Gedanken wirbelten heillos durcheinander, und nur ein einziger schien sich daraus hervorzuheben: dass das, was sie dachte, nicht sein konnte.
Endlich hob Garsende den Kopf. Lothar war stehengeblieben und sah sie an. Wie stets, konnte sie in seinen dunklen Augen nicht lesen.
»Warum?«, fragte sie. Und auch ihre eigene, dünne Stimme klang ihr plötzlich fremd.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, antwortete er mit unbewegter Miene.
Wie konnte er es wagen zu leugnen? Zorn, wie sie ihn noch nie zuvor erlebt hatte, flammte in ihr auf und trieb das Blut zurück in ihre Wangen.
»Ihr habt etwas von Eurem Umhang verloren, als Ihr Arnold
von Clemante ermordet habt«, fauchte sie und deutete auf den Saum des erdbraunen Mantels, den er trug. »Und ich will wissen, warum Ihr ihn getötet habt.«
Noch immer rührte er sich nicht, sah ihr nur unverwandt in die Augen. »Ich bin Lehnsmann, Garsende. Und dem Markgrafen von Braunschweig verpflichtet«, wiederholte er, was er ihr am Ufer des Rheins schon einmal gesagt hatte. Seine Stimme klang belegt. »Wenn mein Lehnsherr sich auf Seiten der Fürsten stellt, ist es nicht an mir, das in Frage zu stellen. Ich tue das, womit man mich betraut. Und ich verstehe mein Handwerk. So wie du deines.«
»Und um diesen Euren Auftrag zu erfüllen, musstet Ihr mich benutzen?«, schrie sie. »Die törichte Heilerin, die so vernarrt in Euch war, dass sie Euer Aushorchen nicht bemerkte. Was bin ich nur für eine Närrin!«
Wieder trat er einen raschen Schritt auf sie zu, und diesmal gelang es ihm, ihr Handgelenk zu fassen.
»Du bist törichter, als du glaubst, wenn du das von mir denkst«, sagte er scharf. »Mein Auftrag hatte nicht das Geringste mit dir zu tun. Und was du mir erzählt hast, hätte ich auch anderswo erfahren können.«
Sie riss an ihrem Handgelenk, doch er hielt sie eisern fest. »Du musst mich zu dieser Klause führen«, verlangte er.
»Den Teufel werde ich tun«, rief Garsende.
»Du weißt ja nicht, wovon du sprichst. Es geht um nichts weniger als um die Sicherheit des Reiches.«
»Ich weiß, worum es geht«, gab sie aufgebracht zurück. »Doch zu behaupten, das rechtfertige …«
Unvermittelt ließ er sie los. »Du kennst den Inhalt des Schriftstücks?«, fragte er tonlos.
»Beatrix hat mir vor ihrem Tod davon erzählt. Und darum weiß ich auch …«
»Verdammnis, Weib!« Zorn und noch etwas anderes, das sie nicht zu deuten wusste, blitzte in seinen Augen auf.
Garsende wich vor seinem Blick zurück, dann machte sie kehrt und rannte.
Der Burggraf stieß einen Seufzer der Erleichterung hervor, als er die Heilerin auf dem Klosterweg entdeckte. Doch als er näher kam, runzelte er die Stirn. Garsende stand wie angewurzelt. Sie kehrte ihm den Rücken zu und schien auf einen Punkt zu starren, der irgendwo zu ihrer Linken liegen musste. Erst als er sie zum zweiten Mal anrief, drehte sie sich zu ihm um. Ihr Gesicht war totenbleich, und als sie zu ihm aufschaute, hatte er den Eindruck, als würde sie ihn gar nicht richtig wahrnehmen.
»Einen Augenblick lang dachte ich, er würde mich töten«, wisperte sie. »Aber er tat es nicht.«
Unwillkürlich packte er sie am Arm. »Wer?«
Der Ärmel ihres
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