Das zerbrochene Siegel - Roman
Gedankenverloren starrte sie vor sich.
»Die Klause«, murmelte sie schließlich. Sie hob den Kopf und ihr Blick fiel auf Schwester Synesia, die sie mit gerunzelter Stirn musterte.
Für einen Moment biss Garsende sich unschlüssig auf die Lippen. Alles in ihr drängte danach, das Kloster umgehend zu verlassen, doch die Äbtissin würde es ihr übel vermerken, wenn sie nicht auf sie wartete. Sie seufzte tief. Dann sagte sie entschlossen:
»Ich muss gehen. Bitte entschuldigt mich bei der Ehrwürdigen Mutter, aber ich kann nicht länger bleiben. Ich werde es später erklären.«
»Ich verstehe nicht … was ist denn nur?«, fragte die Pförtnerin bestürzt.
Garsende schüttelte nur den Kopf und raffte ihr Gewand.
»So warte doch! Die Ehrwürdige Mutter wird gewiss gleich hier sein«, rief Schwester Synesia ihr hinterher, aber Garsende hatte bereits die Treppe erreicht und eilte die Stufen hinunter.
KAPITEL 18
D er Falke kniff die Augen zusammen und warf einen Blick in den Himmel. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Wächter das Tor öffnen und Mensch und Vieh passieren lassen würden, die sich bereits zu beiden Seiten der Pforte versammelt hatten, um in die Stadt oder hinaus auf die Felder zu strömen. Mit Hilfe seines Pergaments hätte er Worms bereits früher verlassen können, doch hatte er es für klüger gehalten zu warten. In der Menge würde er nicht auffallen. Zwar war er sicher, dass der Burggraf ihn nicht erkannt hatte, dennoch war ihm Bandolf von Leyen unangenehm nahe gerückt. Es bedurfte nicht mehr viel, und der Mann würde wissen, wer er war.
Es wurde Zeit, sich des Burggrafen zu entledigen. Ein zweites Mal durfte er ihn nicht mit dem Leben davonkommen lassen.
Ein Anflug von Unmut flog über sein Gesicht. Seit der Versuch gescheitert war, den sturköpfigen Burggrafen zu beseitigen, schien ihn das Glück verlassen zu haben. Mit keiner Richtung, die er eingeschlagen hatte, war er Bruder Bartholomäus und mit ihm dem Dokument auch nur einen Schritt näher gekommen. Wen er auch ausgeforscht hatte, niemand schien den Domherrn gesehen zu haben. Und langsam gingen ihm die Einfälle aus, wo er noch suchen konnte. In der Umgebung des Klosters nachzuforschen, schien die letzte Möglichkeit, den Bruder endlich aufzuspüren. Ein Fehlschlag wäre fatal, nicht zuletzt für das ganze Reich.
In Lorsch wurde man ungeduldig, und seit der junge König
auf dem Weg der Genesung war, schien es um so wichtiger, des verdammten Schriftstücks habhaft zu werden. Zumal er nicht der Einzige war, der danach suchte.
Ein leises Lachen entschlüpfte dem Falken, und er dankte Gott für die Jugend seines Herrschers, die Heinrich oft noch unkluge Entscheidungen treffen ließ. Hätte der König jemand anderen ausgeschickt als einen unerfahrenen Mönch, wäre er seinem Ziel womöglich näher gekommen, dachte er. Es hatte ihn kaum Mühe gekostet, Heinrichs Abgesandten zu entlarven, und noch weniger zu entscheiden, dass Bruder Kilian weder eine Gefahr für ihn noch für seinen Auftrag darstellte.
Unvermittelt wurde er wieder ernst. Es wäre töricht, sich in Sicherheit zu wiegen. Konnte er den Benediktiner auch außer Acht lassen und den Tod des Burggrafen als gewiss betrachten, so war da noch ein Dritter mit im Spiel, der au ßer dem Falken die Finger nach dem Dokument ausstreckte. So sehr er sich auch bemüht hatte, war es ihm bislang nicht gelungen herauszufinden, wer es war oder in wessen Auftrag er handelte.
Das Tor öffnete sich mit einem lauten Knarren, und der Falke drückte seinem Pferd die Fersen in die Flanken.
»Es ist ihr wohl nicht bewusst gewesen, doch mich haben ihre Worte stutzig gemacht«, hatte Bruder Kilian gesagt.
Und verflucht sei die Geheimniskrämerei bei Hof, die du gewöhnt bist, dachte der Burggraf zornig, als er den Marktplatz überquerte. Hätte der Mönch ihm zur rechten Zeit davon erzählt, wäre zu verhindern gewesen, dass er die Heilerin in die Höhle des Löwen schickte. So aber lauerte der Tod im Kloster, und Bandolf konnte nur hoffen, dass er nicht zu spät kommen würde.
Matthäa wird mir nie verzeihen, wenn ihr ein Leid zustößt, ging es ihm durch den Kopf und schalt sich einen verdammten
Narren, töricht genug, ein Weib mit Aufgaben zu betrauen, für die es nun einmal nicht geschaffen war!
Überhaupt schien es, als wäre er von Beginn an mit Blindheit geschlagen gewesen.
Der Mönch mochte nicht wissen, wer sich hinter dem Falken verbarg, doch Bandolf ahnte nun, wer ihm den
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