Das zerbrochene Siegel - Roman
Tisch stellte, und fuhr erst fort, nachdem die Magd sich wieder zurückgezogen hatte.
»Seine Eminenz wünscht, dass ich umgehend den Bau eines Turmes zwischen Martinstor und Andreaspforte in die Wege leite«, fuhr Bandolf fort. »Sein Baumeister habe diesbezüglich Order, doch ich solle mich selbst davon überzeugen, dass die Qualität des Gesteins den Anforderungen entspricht. Außerdem heißt er mich, sämtliche Gassen und Feuerstellen der Stadt zu inspizieren, ob sie der Vorschrift entsprechen, den Ausbau der Taufkapelle St. Johannes zu überwachen, und persönlich ein Auge auf die Vorstädter zu haben, welche er verdächtigt, Waren in die Stadt zu bringen, ohne den entsprechenden Zoll zu entrichten.«
»Und was missfällt Euch daran?«
»Alles missfällt mir daran!«, knurrte Bandolf. »Beispielsweise baut man in ungewissen Zeiten wie jetzt, da der König erkrankt ist, keinen Turm, der von geringer Bedeutung für die Verteidigung der Stadt ist. Momentan täte es mehr Not, die Bewaffnung der Bürger aufzustocken oder die Stadtmauer zu inspizieren und gegebenenfalls auszubessern. Ganz davon zu schweigen, dass ich den Baumeister zum Steinbruch in den Odenwald begleiten müsste, um zu sehen, ob die Steine für den Bau des Turms geeignet sind. Worauf ich mich, wohlgemerkt, auch keineswegs verstehe!
Und wenn schon ein Turm gebaut werden soll, wieso dann nicht zwischen der Pfauen- und der Judenpforte? Was den Ausbau der Taufkapelle St. Johannes betrifft, ist das die Aufgabe seines Vogts oder des Kämmerers. Ganz bestimmt
nicht meine!« Mit zusammengekniffenen Augen schüttelte er den Kopf. »Mir will scheinen, als wolle der Bischof mich um jeden Preis beschäftigt halten.«
Hätte Garsende nicht selbst schon Bekanntschaft mit Bischof Adalbero geschlossen, wäre ihr die Vermutung des Burggrafen hanebüchen erschienen. So aber fragte sie nur: »Aus welchem Grund sollte er das tun? Um Euch daran zu hindern, Ulbert von Flonheims Mörder zu finden?«
Bandolf verzog das Gesicht. »Womöglich. Doch wüsste ich nur zu gerne, warum er solchen Aufwand treibt.«
»Was werdet Ihr tun?«
»Ich tue genau das, was Seine Eminenz wünscht.«
»Tatsächlich?«, entfuhr es ihr überrascht.
»Werno habe ich damit beauftragt, die Gassen zu inspizieren, einen Büttel, die Feuerstellen zu überprüfen, während sich mein Marschalk um Waffen und Befestigung der Stadt kümmert. Dem Vogt werde ich im Namen des Bischofs Dampf unter dem Hintern machen, dass er den Ausbau von St. Johannes vorantreibt. Prosperius soll sich um die Vorstädter kümmern. Und auf meinem Gut bei Sallach habe ich einen jungen Mann, der sich ausgezeichnet auf Steine versteht. Dorthin ist Jacob unterwegs.« Der Burggraf verzog den Mund zu seinem schmalsten Lächeln. »Wie du siehst, kümmere ich mich um alles selbst.«
Garsende lachte.
Mit einem Zug leerte Bandolf seinen Becher. Dann wischte er sich mit seinem Ärmel über den Bart und beugte sich vor. »Konntest du von Ulberts Witwe etwas Neues erfahren?«
Zögernd senkte Garsende den Kopf und dachte an Annalinde, die ihre Hand umklammert hielt, als wäre die Heilerin ihr Anker, während sie stockend und mit verwirrenden Umwegen ihr Herz erleichtert hatte. Einen Moment lang fühlte sie sich wie ein Judas. Annalinde hatte ihr, einer
Fremden, ihr Vertrauen geschenkt, und es schien Garsende, als würde sie dieses Vertrauen missbrauchen, wenn sie dem Burggrafen alles erzählte, was die Witwe ihr gesagt hatte. Andererseits hatte Annalinde sehr wohl gewusst, dass der Burggraf die Heilerin zu ihr geschickt hatte.
»Nun?«, forderte Bandolf.
Garsende hob den Kopf, schöpfte tief Atem und begann mit ihrem Bericht.
KAPITEL 7
A m ersten Tag im März war Ulbert mit Gemahlin, Kind und einem kleinen Gefolge von seinem Flonheimer Gut aufgebrochen, um nach Worms zu reisen«, begann die Heilerin. »Zwei Tage später, am Tag der heiligen Kunigunde, hatten die Reisenden just die Bergkirche St. Peter passiert, als sie plötzlich von einem Gewitter überrascht wurden. Ulberts Pferd erschrak über einen Blitz und ging mit ihm durch. Einige Zeit später fanden die Hörigen ihren Herrn über den leblosen Körper einer Frau gebeugt, die abseits des Weges im Unterholz lag. Ulbert befahl seinen Hörigen, sie zum Wagen seiner Gattin zu tragen. Gewand und Umhang des Weibes waren durchnässt, schmutzig und an einigen Stellen zerrissen, doch sie gehörten zweifellos einer Frau von Stand. Ulbert wollte die Bewusstlose zunächst zur
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