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Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Eder
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Das Mädchen seufzte. »Aber das ist schon viele Jahre her.«
    Ehrfürchtig riss Bandolf die Augen auf. Bischof Burchard konnte nur einen Kaiser in die Lausitz begleitet haben: Kaiser Heinrich II. Und dessen Zeit lag schon weit über ein halbes Jahrhundert zurück. Das Weib musste steinalt sein.
    »Der Herrgott hat mich auf Erden vergessen, Pater«, murmelte sie undeutlich, ohne den Blick von den Bergen in der Ferne abzuwenden.

    Wie jedermann empfand Bandolf tiefe Ehrfurcht vor so hohem Alter. Sachte legte er der greisen Frau die Hand auf die Schulter.
    »Bestimmt wird er sich erinnern, wenn deine Zeit gekommen ist.« Dann nickte er dem Mädchen zu und lenkte seine Schritte in Richtung Kirche.
     
    Im Inneren des Gotteshauses war es dämmrig und still. Der Burggraf erwies dem Altar seine Referenz und wandte sich vor dem Chor nach links, wo eine Treppe nach unten führte. Ein leichter, süßlich fauliger Geruch kam Bandolf entgegen.
    »Wer immer dort liegt, ist schon einige Tage tot«, dachte er, als er die Stufen hinunterstieg.
    Im Eingang zur Krypta blieb er überrascht stehen. Vier schwere Sandsteinsäulen, die in runden Bogen ausliefen und mit der gewölbten Decke verschmolzen, beherrschten den kleinen Raum vollkommen. Im Zentrum der Säulen lag der Tote.
    Da St. Peter kein Beinhaus besaß und die Krypta gewöhnlich als Aufbewahrungsort für die Reliquien diente, hatte man kurzerhand einige Strohsäcke zusammengeschoben und die Leiche darauf gebettet.
    Eine brennende Öllampe stand in einer der Nischen, die in die Wände eingelassen waren, und durch eine runde Fensteröffnung drang ein wenig Tageslicht. Es fiel auf einen jungen Stiftsherrn, der zwischen zwei Säulen auf seinen Fersen kauerte und offenkundig eingenickt war. Leise schnarchte er vor sich hin.
    Mit einem deutlichen Räuspern machte Bandolf sich bemerkbar. Der Bruder fuhr hoch und starrte ihn für einen Moment verwirrt an.
    »Ich … ich habe Euch nicht kommen gehört. Verzeiht. Ich war wohl allzu sehr in mein Gebet vertieft.«

    »So schien es mir«, sagte Bandolf und verbiss sich ein Lächeln.
    Der junge Mann erhob sich. »Ich bin Bruder Elbert vom Stift St. Andreas zu Worms. Man hat mich geschickt, die Totenwache zu halten«, erklärte er, während er seine Kutte glatt strich. »Seid Ihr ein Anverwandter des Mannes?«
    Offenbar war der Bruder noch nicht lange in Worms.
    »Ich bin Bandolf von Leyen, der Burggraf von Worms. Und ich möchte mir den Fremden ansehen.«
    Bruder Elbert blinzelte verunsichert. Zunächst schien es so, als wolle er Bandolfs Ansinnen zurückweisen, doch schließlich zog er sich einige Schritte zurück.
    Der Burggraf ging neben der Leiche in die Hocke und betrachtete den Toten.
    Er war nicht groß. Man hatte nur drei Strohsäcke gebraucht, um ihn der Länge nach auszustrecken. Fellstiefel, Beinlinge und Tunika des Fremden waren verschmutzt, jedoch aus gutem Tuch, und wiesen an einigen Stellen fleckige Risse auf. Die Halsborte der Tunika starrte vor eingetrocknetem Blut. Der Fleck zog sich bis über seine rechte Brust.
    Das Gesicht des Toten war kantig und von brauner Hautfarbe wie bei jemandem, der in sonnigeren Gefilden als dem fränkischen Reich aufgewachsen war. Doch jetzt wirkte die Haut wächsern und fahl.
    Er wurde in der Mitte seines Lebens in die Hölle geschickt, dachte Bandolf, während sein Blick über das schwarze Haar glitt, das schon angegraut und aus der Stirn zurückgewichen war. Die dichten Augenbrauen des Mannes drückten auf die geschlossenen Lider, seine Nase hing scharf gebogen wie eine Sichel über den Lippen, und Bartstoppeln zierten das Kinn. Vom rechten Auge bis über den Wangenknochen wies die Haut eine schwarze Färbung auf. Mit angewidert verzogenem Gesicht ob des feinen süßlichen
Geruchs, der der Leiche entwich, streckte Bandolf die Hand aus und berührte die Stelle. Sie war angeschwollen.
    »Wir haben versucht, den schwarzen Fleck wegzuwaschen, aber es wollte nicht gelingen«, raunte Bruder Elbert. Die Stimme, nahe seinem Ohr, ließ den Burggrafen zusammenzucken. Leise war der Bruder näher getreten und spähte nun neugierig über Bandolfs Schulter.
    »Natürlich nicht«, knurrte der Burggraf unwirsch. »Offensichtlich hat ein Kampf stattgefunden. Der Mann wurde geschlagen, und dabei entstand der Bluterguss.«
    Der Hals des Toten wies kleine Schnitte auf, und als Bandolf die Halsborte der Tunika nach unten schob, entfuhr ihm ein überraschter Laut. Die Wunde, lang wie Bandolfs Daumen, ließ

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