Das zerbrochene Siegel - Roman
keinen Zweifel daran, wie der Mann gestorben war. Jemand hatte über ihm gestanden, als er schon am Boden lag, und ihm ein Schwert in die Halsbeuge gerammt. So verfuhr ein erfahrener Kämpfer, wenn er sichergehen wollte, dass sein Gegner nie mehr aufstand.
»Verdammnis!«, murmelte der Burggraf. All seine sorgfältig zusammengetragenen Strohhalme schienen sich mit einem Schlag in alle Winde zu zerstreuen.
Wenn dies, wie Bandolf glaubte, Arnold von Clemante war, wer, bei allen Heiligen, hatte ihn dann umgebracht?
Weder Bruder Bartholomäus noch der eigenartige Benediktiner schienen über derlei Kampfeserfahrungen zu verfügen. Nicht einmal der Tote machte den Eindruck, als sei er im Kampf geübt gewesen. Seine feingliedrigen Hände, die sorgsam über der Brust gefaltet lagen, wiesen keinerlei Verdickungen auf, wie sie für einen Mann üblich waren, der von Kindesbeinen an mit dem Schwert vertraut gemacht worden war.
Bandolf stieß ein tiefes Seufzen aus. Dann stand er auf. »Ich will alles sehen, was der Mann bei sich trug, als er gefunden
wurde«, sagte er, ohne den Blick von der Leiche abzuwenden.
Nach kurzem Zögern kam Bruder Elbert seinem Wunsch nach.
Vor der Kirche wartete der Knecht Hunfried - ein schlaksiger, baumlanger Kerl, der aufgeregt vor der Pforte zum Kirchhof auf und ab lief.
Kurz angebunden befahl der Burggraf, er solle ihn zu der Stelle führen, wo er den Toten gefunden habe.
Offenkundig erfreut über den Auftrag, der ihm auf Tage hinaus die ungeteilte Aufmerksamkeit der Dörfler sichern würde, führte Hunfried den Burggrafen zurück zum Wald. Unterwegs beglückte er Bandolf mit einer gefühlvollen Aufzählung all seiner trüben Vorahnungen, die ihn gestern schon von Morgengrauen an bedrängt hatten, bis er über den Toten gestolpert war. Als sie vom Weg nach Worms in einen schmaleren Pfad einbogen, der durch den Wald südlich am Dorf vorbei nach Westen führte, fühlte der Burggraf sich nachgerade erschöpft.
»Hier lang, Herr. Hier hab ich ihn gefunden«, raunte der Knecht endlich und deutete auf eine Öffnung im Unterholz. Abgebrochene Zweige, aufgewühlter Boden und platt gedrückte Gräser zeigten an, wo der Tote gelegen hatte.
Bandolf runzelte die Stirn. Die Stelle lag nicht weit vom Pfad und war gut einsehbar. Warum hatte man den Toten nicht früher entdeckt? Hunfrieds nächste Worte lieferten eine Erklärung.
»Ich hätt ihn ja nie nicht gefunden, hätt ich nicht Augen wie ein Bussard«, warf er sich in die Brust. »War nämlich mit Laub zugedeckt, der Mann. Wär beinah auch an ihm vorbei, hätt nicht der Stiefel rausgeguckt.«
Hat der Kampf hier stattgefunden, oder anderswo?, überlegte Bandolf. Er starrte auf den Boden, der mit Nadeln,
Zweigen und Tannenzapfen übersät war, konnte jedoch weder Spuren eines Kampfes noch Hinweise entdecken, dass der Tote hierhergeschleift worden wäre. Der Mann, der Arnold getötet hatte, musste ihn getragen haben. Offenbar war ihm daran gelegen gewesen, dass der Leichnam nicht allzu bald gefunden wurde.
Aufmerksam sah sich Bandolf um. Zunächst konnte er nichts entdecken. Der Wald schien gewillt, seine Geheimnisse für sich zu behalten. Doch als er den Pfad langsam zurückging, den sie gekommen waren, stieß er auf Hufspuren, die sich in eigenwilligem Muster in den feuchten, weichen Boden eingedrückt hatten. Abgeknickte Zweige im Gebüsch zu beiden Seiten des Pfads schienen seine Vermutung zu bestätigen, dass dies die Stelle war, wo Arnold sein Leben ausgehaucht hatte.
»Der Kampf hat hier stattgefunden«, konstatierte der Burggraf laut.
»Welcher Kampf?«, fragte Hunfried verwundert.
Ohne zu antworten, ging Bandolf in die Hocke. Sein Blick wanderte über den Boden, während er sich vorzustellen versuchte, was sich abgespielt hatte.
Den Spuren nach mochten beide, Arnold und sein Angreifer, zunächst zu Pferd gewesen sein. Dann war es seinem Gegner offenbar geglückt, Arnold vom Gaul zu reißen, und der Kampf war am Boden weitergegangen.
Bandolf dachte an die weichen Hände des Toten und an den langen Dolch, der sich als einzige Waffe unter Arnolds Habe befunden hatte, und seufzte. Seine Gegenwehr war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.
Arnold war niedergezwungen worden, und sein Angreifer hatte ihm das Schwert an die Kehle gesetzt. Das zeigten die kleinen Schnitte am Hals des Leichnams. Aber warum hatte sein Gegner ihm nicht gleich den Garaus gemacht? Langsam strich der Burggraf mit der Hand über einen gro
ßen dunklen
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