Das zerbrochene Siegel - Roman
dagegen sträuben würde, hatte Bandolf jedoch nicht erwartet. Er wusste, dass die Heilerin ihre Jugend in einem Kloster verbracht hatte, ehe ihr Vater, der Graf von Rieneck, gestorben war und ihre Mutter sie wieder zu sich geholt hatte. Von ihr, und mehr noch von ihrer Großmutter, hatte Garsende ihr Handwerk gelernt.
Stets hatte sich der Burggraf gefragt, warum Garsende den Schleier nicht genommen hatte. Ihm schien, dass den Unwägbarkeiten eines Lebens ohne den Schutz von Gatte und Vormund das Dasein einer Nonne doch allemal vorzuziehen sei.
Ein hörbares Rumpeln in seinem Magen unterbrach Bandolfs Gedanken und erinnerte ihn daran, dass er seit der Sext nichts mehr zu sich genommen hatte. Müßig warf er einen Blick durch die noch kahlen Bäume in den Himmel. Wolken waren aufgezogen und schienen den Einbruch der Nacht zu beschleunigen. Erleichtert sah er, dass der Weg nach Worms, in den der Pfad von Garsendes Hütte aus einmündete, nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war.
Ich hätte eine Lampe mitnehmen …
Etwas, das mit plötzlicher Wucht gegen seinen Rücken prallte, ließ Bandolf taumeln. Zugleich presste ihm ein lederbewehrter Arm die Luft aus der Kehle. Metall blitzte vor seinen Augen auf. Nur einen Lidschlag lang schien die Welt mit ihm erstarrt. Dann warf er ruckartig den Kopf zurück und stieß die Ellbogen nach hinten. Sein Schädel krachte schmerzhaft gegen etwas Hartes, kaltes Eisen streifte seinen
Hals, und er hörte ein gedämpftes Stöhnen. Der würgende Griff um seine Kehle schien um ein Quäntchen lockerer zu werden. Bandolf warf sich herum. Sein Hals war wieder frei, und sein Umhang fing den erneuten Stoß der Klinge ab. Eine Faust im Magen nahm ihm die Luft. Ein weiterer Schlag traf ihn mit einem knirschenden Geräusch irgendwo im Gesicht und trieb ihm die Tränen in die Augen. Der nächste prallte jedoch gegen seinen stämmigen Arm, den er geistesgegenwärtig hochgerissen hatte. Hektisch suchte sein Blick die weitaus gefährlichere Klinge, während seine eigene Faust vorschnellte und sein Stiefel das Schienbein des Gegners traf. Aber das Dämmerlicht spielte ihm Streiche, flirrte vor seinen Augen, und er glaubte, den Glanz der Klinge überall zu sehen, bis er ihren Biss in seiner Seite spürte. Durch Zorn und Angst hindurch hörte Bandolf ein Keuchen und einen Schrei, und ihm war, als hörte er in der Ferne bereits das Psalmodieren der Engel, als er sich mit seinem ganzen Gewicht nach vorne warf.
Sein Gegner ging stöhnend unter ihm in die Knie. Bandolf konnte den Schwung seines Körpers jedoch nicht mehr bremsen und fiel auf ihn. Ein gurgelnder Laut drang durch den Stoff der Kapuze, die im Sturz über das Gesicht seines Widersachers gerutscht war. Sie nahm seinem Gegner die Sicht, während Bandolfs Arm eingeklemmt zwischen ihren Leibern lag. Blind versuchte der Mann, sein Knie in Bandolfs Gemächt zu rammen, und seine Rechte schnellte hoch. Die Spitze der Klinge ging scharf an Bandolfs Hals vorbei. Mit seiner Linken bekam Bandolf das Handgelenk zu fassen und drückte zähneknirschend zu. Plötzlich gab der Gegner nach. Sein Arm schwang nach unten, und die Klinge fiel zu Boden.
Erleichtert atmete Bandolf auf.
Dann hörte er einen dumpfen Ton, spürte einen stechenden Schmerz in seinem Schädel und bildete sich ein,
der Gesang der Engel würde lauter, bevor es Nacht um ihn wurde.
Matthäa warf einen prüfenden Blick über die Tafel. Brot, Dinkelbrei, Eier und Gepökeltes standen auf dem Tisch, die Holzteller und Becher waren verteilt, und Eltrudis und die Hauseigenen hatten sich am Tisch versammelt. Nur die Plätze des Burggrafen und seines jungen Schreibers waren leer.
Der Burggraf schätzte die Kost seiner Gattin und versäumte nicht oft eine Mahlzeit, doch hin und wieder kam es vor. Einen Augenblick dachte Matthäa auch an Prosperius und fragte sich, wo er jetzt war, ob er es warm hatte und wo er speiste. Dann nickte sie ihrer Tante zu und bat sie, das Tischgebet anstelle des Hausherrn zu sprechen, wie es ihr als Gast und älterer Verwandten zukam.
Wie üblich, besorgte Eltrudis das Reden auch nach dem Tischgebet. Die Burggräfin hörte nur mit halbem Ohr zu und warf hin und wieder ein »Hmm« und »Ja, gewiss« ein, während sie über ihren Besuch bei der Heilerin nachdachte. Garsendes Besorgnis hatte ihr wohlgetan, und sie wusste, dass sie sich auf ihr Schweigen würde verlassen können. Solange ihre Tante im Haus war, würde Matthäa kein Wort …
Die plötzliche
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