Das zerbrochene Siegel - Roman
ihre Hauseigenen an. Die ungewohnte Schärfe in ihrer Stimme brachte Eltrudis zum Schweigen, und während die Hörigen mit neugierig aufgerissenen Augen die Halle verließen, starrte sie ihre Nichte entgeistert an.
»Was, um des Himmels willen, denkt Ihr Euch?«, empörte sie sich, als sie ihre Sprache endlich wiedergefunden hatte.
»Auch wenn Ihr Gast in diesem Haus seid und ich Euch als der Älteren Respekt schulde, steht es Euch nicht zu, mich in allem zu bevormunden«, erklärte Matthäa mit einer Bestimmtheit, die sie selbst überraschte.
»Was fällt Euch ein, so mit mir …«
»Noch weniger kommt es Euch an, über meinen Gatten zu urteilen, unter dessen Dach Ihr Euch befindet. Ich will nicht länger dulden, wie schlecht Ihr über ihn sprecht und dass Ihr mich vor meinen Hauseigenen demütigt.«
»Kind, es steht nicht dafür, so empfindsam zu sein. Ich bin die Ältere, und hie und da ein gut gemeinter Rat sollte Euch wohl willkommen sein! Zumal ich meiner guten Schwester, Gott hab sie selig, auf dem Sterbelager versprochen habe, ein Auge auf Euch …«
»Ich entsinne mich nicht, Euch am Lager meiner Mutter gesehen zu haben, als sie starb«, unterbrach Matthäa sie kalt. »Soweit ich mich erinnere, kam nur ein Bote, der uns
mitteilte, Ihr würdet bedauern, wärt jedoch wegen eines Verlöbnisses in Quedlinburg unabkömmlich.«
»Nun, ich … Doch wie auch immer, was ficht Euch an, so undankbar zu sein? Habe ich nicht meine ganze Kraft den Bemühungen geopfert, Euch meine Hilfe zukommen zu lassen?«
»Hilfe? Ihr scheucht mich und meine Mägde tagaus, tagein herum, während Ihr es Euch in Eurer Kammer wohl sein lasst. Und als wäre das nicht genug, kann es Euch niemand jemals recht machen. Ständig haltet Ihr meine Hörigen von der Arbeit ab und treibt mit all Eurem Gemäkel meinen Gatten aus dem Haus.«
»Allmächtiger! Das ist doch unerhört! Wie redet Ihr mit mir? Ohne Murren habe ich die Unbill ertragen, mich von Eurem mürrischen Gatten kränken zu lassen, und klaglos auf mich genommen, in einem Haus zu verweilen, wo Fremde des nächtens umherschleichen und sich ermorden lassen. In keinem anderen Haus, in dem ich als Gast willkommen war, wurde mir je dergleichen zugemutet.«
»Und wo wart Ihr, als Ulbert von Flonheim ermordet wurde?«, rief Matthäa. »Ihr seid in jener Nacht mit nassem Mantel im Haus unterwegs gewesen. Filiberta hat Euch gesehen.«
»Euch bin ich gewiss keine Rechenschaft über mein Tun schuldig!«, schnappte Eltrudis und sprang auf. Ihr Kinn bebte vor Entrüstung.
»Meinem Gatten aber schon!«, gab Matthäa scharf zurück. »Und seid versichert, ich werde ihm davon berichten.«
»Untersteht Ihr Euch anzudeuten, ich hätte auch nur das Geringste mit dem Tod des jungen Mannes zu tun?«
Matthäa zuckte mit den Schultern. »Mein Gemahl könnte auf den Gedanken verfallen. Und wenn Ihr es mir nicht sagen wollt …«
Mit vor Zorn hochroten Wangen warf Eltrudis ihren Kopf in den Nacken. »Ich habe Rosmarin im Garten geschnitten und mir einen Trunk zubereitet.«
»Mitten in der Nacht?«, entfuhr es Matthäa verwundert.
»Es war Vollmond, und noch dazu die Nacht des Frühlingsbeginns. Da ist der Trunk besonders wirksam. Es möchte auch Euch nicht schaden, dem Alter ein wenig entgegenzuwirken.«
Verdutzt blinzelte die Burggräfin. Kein Wunder, dass Eltrudis damit hinter dem Berg gehalten hatte. Ein erleichtertes Lachen stieg ihr in die Kehle, das sie hastig unterdrückte.
»Aber habt Ihr den Toten denn nicht bemerkt, als Ihr über den Hof zum Garten gegangen seid?«
Für einen Moment schien Eltrudis ihre Empörung zu vergessen. Sie schüttelte den Kopf. »Es war dunkel und hat heftig geregnet«, sagte sie. »Ich hatte mir die Kapuze übergestülpt, doch der Regen schlug mir ins Gesicht.« Dann entsann sie sich offenkundig wieder, wie sehr Matthäa sie beleidigt hatte, und setzte spitz hinzu: »Und hätte ich gewusst, wie wenig Euer Gatte imstande ist, sein Haus zu schützen, wäre ich in meiner Kammer geblieben. Wie ich überhaupt diesem Haus ferngeblieben wäre, hätte ich auch nur geahnt, wie wenig Ihr die Unbill zu schätzen wisst, die ich auf mich genommen habe, nur um Euch zur Seite zu stehen.«
Matthäa stand auf. Ihr Herz klopfte bis in ihre Kehle. Vage war sie sich bewusst, dass sie im Begriff stand, sämtliche Regeln, die man sie gelehrt hatte, zu verletzen, doch dieses eine Mal war es ihr gleich.
»Da Euch Euer Aufenthalt hier so mühsam ist und Mariamünster Euren
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