Das zerbrochene Siegel - Roman
bernsteinfarbenen Augen leuchteten in der Dunkelheit wie zwei kleine Lampen.
»Was fragst du mich? Ich weiß nicht, wer mir ans Leder wollte«, fühlte sich Bandolf bemüßigt zu antworten. »Es war schon sehr dämmrig, und der Hundsfott hatte eine Kapuze vor dem Gesicht.«
Nachdenklich zog er die Brauen zusammen. Arnold von Clemante hatte durch einen Schwertstreich den Tod gefunden; Ulbert von Flonheim war mit einer dünnen Klinge niedergestochen worden; ihn selbst hatte man mit einem Dolch bedroht. Folglich musste der Täter jemand sein, der in Waffen geübt war und kräftig genug, um einen Mann von Bandolfs Statur niederzuringen. Bruder Bartholomäus’ Gestalt trat vor sein inneres Auge, und der Burggraf schüttelte den Kopf.
»Zu schmächtig«, sagte er laut.
Eine solche Beschreibung traf jedoch weder auf den beredten Lothar von Kalborn noch auf den gewandten Raoul de Saint Rémy zu. Ja, sogar Bruder Kilian wäre jung und kräftig genug, um ein Schwert zu führen und einen großen, stämmigen Mann niederzuwerfen. Gewiss, er war Mönch, aber er könnte dennoch in Waffen geschult worden sein, bevor er die Kutte nahm. Aber welcher von den dreien war es, der meuchelnd durch seine Stadt schlich?
Der Burggraf gähnte. »Zeit zum Schlafen«, teilte er Penelope mit, während er sie von seinem angewärmten Oberschenkel schob. Die Katze protestierte mit einem leisen Maunzen und stob davon. Als er die Haustür erreichte, saß sie jedoch bereits davor, augenscheinlich in Erwartung, dass er sie einließe.
»Ich muss den abgängigen Schreiber finden«, murmelte er. »Und ich muss wissen, was in diesem Dokument steht.«
Aufs Neue gähnend, öffnete er die Tür und sah zu, wie die Katze flink durch den Spalt schlüpfte, noch ehe die Pforte ganz geöffnet war.
»Bis zum nächsten Mal, Burggraf«, zischte der Falke leise. Im Schutz der Bäume und Büsche hatte er Bandolf von Leyen und den Pilgern nachgeschaut, bis das Licht ihrer Lampen gänzlich verschwunden gewesen war. Mittlerweile war es dunkel geworden. Ein launiger halber Mond, der mal leuchtete und dann wieder hinter Wolken verschwand, gab nur wenig von seinem Licht preis. Mehr tastend als sehend, wand der Falke sich aus dem Unterholz heraus zurück auf den Pfad. Für einen Moment blieb er dort stehen und überdachte, was geschehen war.
Nachdem er den Burggrafen bewusstlos geschlagen, sich von seinem schweren Leib befreit und den Dolch wiedergefunden hatte, waren die Pilger just in den Pfad eingebogen. Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als sich so schnell wie möglich in die Büsche zu schlagen. Hatte er gehofft, sie würden den bewusstlosen Mann einfach liegen lassen und ihres Weges ziehen, damit er sein Werk vollenden konnte, sah er sich enttäuscht. Offenkundig gehörten die Pilger zu jener Art Menschen, die den Heiligen nachzueifern trachteten.
Vorsichtig streckte der Falke seine Glieder und zog augenblicklich eine schmerzerfüllte Grimasse. Arme und Beine hatten Blessuren abbekommen, sein Handgelenk brannte, und über seinen Leib schien eine ganze Fuhre Fässer hinweggerollt zu sein. Er tastete über sein Gesicht, hatte aber das Gefühl, dass es verschont geblieben war. Erleichtert atmete er auf. Ihm war keinesfalls daran gelegen, aller Welt zu zeigen, was sich hier abgespielt hatte.
Der Falke seufzte. Gedankenverloren kniete er sich auf den Boden und zog eine Öllampe, Feuerstein und Zunder aus einem Beutel an seinem Gürtel. Während seine Hand auf dem feuchten Waldboden nach einem geeigneten Stückchen Holz suchte, das trocken genug für seine Zwecke wäre, stieg Zorn in ihm auf, der weniger dem Burggrafen als sich selbst galt.
Er hatte den Mann unterschätzt. Mit den Schwertkünsten des Burggrafen sei es nicht weit her, hieß es, und das hatte ihn verleitet zu glauben, dass er auch sonst ein leicht zu bezwingender Gegner wäre. Die eiserne Kraft, die in den strammen Armen und Beinen steckte, hatte er nicht bedacht. Und um das Maß seines Leichtsinns vollzumachen, hatte er der stämmigen Statur des Burggrafen Trägheit unterstellt und war auf seine blitzschnellen Bewegungen nicht gefasst gewesen.
Endlich brannten die wenigen trockenen Blätter, die er ertastet hatte. Er zog den Stöpsel aus dem Tongefäß der Lampe, entzündete ein Hölzchen und hielt es an den Docht, bis er aufflammte. Das musste genügen, um in die Stadt zurückzufinden.
Als er das kleine Feuer zu seinen Füßen austrat, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Bandolf
Weitere Kostenlose Bücher