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Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Eder
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von Leyens junger Schreiber hatte ein offenes Ohr für seine rührselige Geschichte und einen offenen Beutel für seine Bitte gehabt. Der Falke fand, dass eine gewisse Ironie in dem Gedanken lag, die Stadttore von Worms des Nachts mit einem Dokument zu passieren, auf dem das Siegel seines Gegners prangte.

KAPITEL 12
    M it der trüben Ahnung, dass dies nicht der Ort war, an dem ihn jenes muntere Feuer und das zarte Böcklein am Spieß erwarten würde, das er sich erhofft hatte, starrte Prosperius zu dem baufälligen Bergfried hinauf, der vor ihm aufragte.
    Der Diemerstein lag, verdeckt durch hohe Tannen, auf einer Anhöhe mitten im Wald, und der einzige Pfad, der in Windungen hinaufführte, war mit hohem Farn und Brombeergesträuch überwuchert, als hätte ihn seit dem Tod des alten Kaisers niemand mehr betreten.
    Prosperius warf einen Blick zurück zu Feist und Kuhn, den beiden Wachmännern des Burggrafen, und sah seine Befürchtungen in ihren langen Gesichtern bestätigt. Fröstelnd zog er seinen Umhang enger um sich.
    Als sie Worms verlassen hatten, um den Wegen zu folgen, die südwestlich ins bergige Waldland des Haardt führten, war das Wetter noch freundlich gewesen. Bei Weisenheim hatten sie die Rheinebene hinter sich gelassen. Der Forst war dichter, die Pfade waren unwegsamer und steiler geworden, und es schien so, als wollte ihm der Herrgott mit einem eisigen Wind die Erinnerung an das heimische Herdfeuer und Filibertas schmackhafte Eintöpfe besonders wehmütig machen.
    Prosperius stieß ein tiefes Seufzen aus. Hatte er zu Anfang noch die Aussicht begrüßt, Worms verlassen zu können, war ihm sein Eifer längst verlorengegangen. Ja, hätte der Burggraf auch nur zwei Tage früher von seinem Auftrag
gesprochen, wäre Prosperius gewiss nicht um eine Ausflucht verlegen gewesen, warum er unbedingt in Worms verbleiben müsse. Über die Magd des Hufschmieds aus der Schwertfegergasse, deren Blicke aus moosgrünen Augen ihn seit Tagen umtrieben, hätte er selbstredend kein Wort verloren. Dann aber, als er in Bandolfs Auftrag Arnold von Clemantes Spuren durch die Stadt gefolgt war, hatte ein Mann seinen Weg gekreuzt. Seine Furcht, der Mann könne ihn wiedererkennen, war ungleich größer gewesen als die Anziehungskraft der moosgrünen Augen, und so war er froh gewesen, Worms verlassen zu können. Prosperius hoffte, der Mann wäre längst weitergezogen, wenn er in die Stadt zurückkehrte.
    Beim Anblick des Holzturms, dessen bejammernswerter Zustand sogar noch im Dämmerlicht zu erkennen war, fragte er sich jedoch, ob es nicht eine andere Möglichkeit gegeben hätte, dem Mann auszuweichen, als sich mit hungrigem Magen durch die Wildnis zu plagen - zu einem Ort, wo Fuchs und Hase einander Gut’ Nacht sagten.
    »Was ist nun? Gehen wir nicht weiter?«, brummte Kuhn. »Bis wir oben sind, wird’s dunkel sein.«
    Prosperius unterdrückte ein weiteres Seufzen. »Folgt mir«, gebot er und hoffte, sein Gesicht würde nicht das bange Unbehagen widerspiegeln, das ihn beim Anblick des Bergfrieds jäh überfallen hatte.
    Eine Weile folgten sie einem Quellbach, dann machte der Pfad eine scharfe Biegung und endete in moosbewachsenen Steinstufen, die sich so steil wie schief nach oben wanden.
    Prosperius schluckte. »Der Bergfried sieht verlassen aus«, bemerkte er mit dünner Stimme. »Vielleicht sollten wir umkehren.«
    Kuhn war neben ihn getreten. »Wir werden’s nicht wissen, bevor wir nicht angeklopft haben. Und zum Umkehren
ist’s zu spät. Heut Nacht gibt’s Schnee. Feist spürt’s in seinen Knochen. Da sollte man ein Dach über dem Kopf haben.«
    Nach einem zweifelnden Blick auf den wortkargen Feist mit den gesprächigen Knochen und einem weiteren in den Himmel, der immer düsterer wurde, holte Prosperius tief Luft und machte sich an den Aufstieg. Doch es kam noch schlimmer. Die halsbrecherischen Stufen endeten vor einer Hängebrücke, die über einen steil abfallenden Halsgraben hinüber zum Turm führte.
    Abrupt blieb Prosperius stehen. Es gab zwei Dinge, die ihm Abscheu einflößten: Das eine war der Anblick von Blut, das andere waren große Höhen.
    Entsetzt starrte er auf die morschen und nicht mehr vollzähligen Bohlen des scheinbar instabilen Gebildes, das im Wind leise quietschend hin- und herschwang. Für einen Augenblick glaubte er, sein Herzschlag müsse aussetzen, und es schien auch nicht nur der Hunger zu sein, der in seinem Magen rumorte. Halt suchend griff er nach dem Pfosten, an dem die Brücke

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