Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das zerbrochene Siegel - Roman

Das zerbrochene Siegel - Roman

Titel: Das zerbrochene Siegel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Eder
Vom Netzwerk:
festgemacht worden war.
    »Gibt es keinen anderen Weg hinüber?«, ächzte er.
    »Sag mir nur nicht, Schreiber, dass dir das bisschen Abhang Angst macht«, stichelte Kuhn.
    Gekränkt warf sich Prosperius in die Brust. »Natürlich nicht«, behauptete er, und während er mit zitternden Händen das Seil packte, das als Geländer dienen sollte, machte er sich selbst mit der Vorstellung Mut, dass ihn drüben im Bergfried allemal ein dicker Bohneneintopf mit Speck und Zwiebeln, ein saftiges Stück Wildbret und ein guter Roter von den fruchtbaren Hängen der Haardt erwarten würden, die sie auf ihrem Weg passiert hatten.
    Unter den anzüglichen Blicken seiner beiden Begleiter, die er deutlich in seinem Rücken spürte, hangelte sich Bandolfs junger Schreiber mit wachsbleichem Gesicht über die
Brücke, und erst als er festen Boden unter seinen Füßen hatte, wagte er wieder zu atmen. Allmählich kehrte das Blut in seine Wangen zurück.
    Nachdem er zugesehen hatte, wie Feist und Kuhn die Brücke mit beneidenswerter Leichtigkeit überwunden hatten, warf Prosperius einen Blick auf den Turm, der unmittelbar vor ihnen aufragte, und die Hoffnung auf seine wohlverdiente Mahlzeit schwand.
    Der Bergfried nahm den schroffen Felsen, auf dem er stand, fast vollständig ein. Nur ein Pfad, schmal wie ein Nadelöhr, der um den Turm führte, trennte ihn vom steilen, mit Dornengestrüpp überwucherten Abhang ringsherum. Einst musste der Bergfried ein wehrhaftes Bollwerk gewesen sein, doch nun war die Fassade an vielen Stellen geborsten, und das Holz schwarz und morsch von Wind und Regen. Allein die eisenbeschlagene Pforte schien dem Alter zu trotzen.
    »Da kann man bloß hoffen, der Herr vom Diemerstein ist freundlicher, als seine Behausung ausschaut«, bemerkte Kuhn. »Nun bist du an der Reihe, Schreiber. Klopf an und verschaff uns Quartier für die Nacht.«
    Ein erstes Klopfen zeitigte keinerlei Wirkung. Als auch das zweite unbeantwortet in der zunehmenden Dämmerung verhallte, rief Prosperius mit wachsendem Unmut: »Öffnet die Tür. Ich bin Prosperius, Schreiber des Burggrafen von Worms, und bitte für mich und meine Männer um ein Quartier für die Nacht.«
    Endlich öffnete sich die Pforte ächzend einen winzigen Spalt, und Prosperius erhaschte einen Blick auf das Gesicht eines betagten Hörigen, der ihn mürrisch anstarrte.
    Hinter dem Leibeigenen dröhnte eine tiefe Stimme aus dem Innern des Turms: »Verschwindet! Streuner, Pilger und sonstiges Gesindel sind auf meiner Burg nicht willkommen.«

    »Ihr habt’s gehört«, schnarrte der Hörige und schickte sich an, die Pforte vor Prosperius’ Nase zu schließen. Rasch stellte der junge Schreiber seinen Fuß dazwischen und rief in den dunklen Raum hinein: »Nur auf ein Wort, Herr! Der Burggraf von Worms sendet Euch Grüße.«
    »Den kenne ich nicht«, brüllte es von drinnen. »Bestell deine Grüße drüben beim Frankenstein oder dem Abt von Limburg, aber lass mich damit in Ruhe!«
    »Aber Bandolf von Leyen hat mich zu Euch geschickt!«, schrie Prosperius, der Verzweiflung nah.
    »Was sagst du da?«
    Eine Weile blieb es still hinter der Pforte, doch dann wurde sie aufgerissen, und ein Mann, so groß wie breit, erschien in der Tür. Umstandslos schob er den Hörigen beiseite. Sein Haupthaar, die Brauen und der Bart waren grau, lang und struppig und ließen kaum mehr als eine riesenhafte Nase und blassblaue Augen erkennen.
    Argwöhnisch fasste der Herr vom Diemerstein den jungen Schreiber ins Auge: »Mein Hitzkopf von Neffe ist jetzt Burggraf zu Worms?«
    Unsicher nickte Prosperius. Davon, dass Grimbald vom Diemerstein sein Oheim war, hatte sein Herr ihm nichts gesagt.
    Grimbalds Bart schien sich horizontal zu teilen, und starke, gelbe Zähne wurden sichtbar, als der Herr vom Diemerstein schallend lachte. »Kaum zu glauben«, dröhnte er. »Wenn das so ist, tritt ein und berichte mir, was der Bursche in Worms zu treiben hat.«
    Wohlmeinend schlug er Prosperius auf die Schulter. Der junge Schreiber knickte ein. Gleich darauf sah er sich am Wams gepackt und in eine Halle geschoben.
    In dem Raum war es kalt, stickig und düster. Das Holz im Kamin gegenüber der Pforte verbreitete mehr Qualm als Wärme, und die wenigen Fackeln, die an den Wänden flackerten,
tauchten allenfalls die aufgebockte Tafel in ein trübes Licht. Prosperius schnupperte. Doch der ersehnte Duft nach gebratenem Fleisch drang nicht in seine Nase, hingegen roch es nach altem Stroh und Moder.
    Mit einem tiefen Seufzen

Weitere Kostenlose Bücher