Das zweite Gesicht
ausgeschnitten wie m it einem Messer. Der zweite M a n n
versetzte einem Gegner einen Faustschlag ins Gesicht und trat nach einem anderen, und so gelang es ihm, ebenfalls freizukommen. Er warf sich in den W agen, und das Fahrzeug fuhr an, erst ruckelnd, dann schneller, den holprigen Waldweg entlang, bis die Lichtwolke, die es vor sich herschob, hinter ein e r Biegung verschwunden war.
Chiara s t and plöt z lich in völli g er Fin s ter n is.
»Hier«, sagte eine S tim m e direkt vor ihr in der Dunkelheit.
»Dein Mantel.«
Sie streckte die Hand aus und ertastete Stoff, hielt ihn einen Augenblick schützend vor sich und schlüpfte dann hinein. Fast im selben Mo m ent flammte Licht auf, eine Taschenla m pe, die die U m risse von vier Menschen aus der Schwärze schälte.
Zwei erka n nte s i e. Es w a ren die beiden Jungen, von denen der eine sie vorhin a ngesprochen hatte. Waren sie dem Wagen gefolgt?
Da reali s ierte sie, da s s d i ese vier sie gerettet hatten. Und sie hatten ihr den Mantel zurückgegeben.
»Hast du Geld ? «, fragte ein e r der beiden, die sie vorher nicht gesehen hatte.
Si e scho b ein e H a n d i n di e Manteltasch e un d f an d ihre Geldb ö r s e . » J a , wa rte t … « S i e öffnet e d e n V e r s c h l u s s u n d schüttet e de n Inhal t i n ihr e Hand . Ei n paa r zerknüllt e Scheine un d Kleingeld . » H ier! « Si e hi e l t e s de m , d e r si e ange- sp r oche n hat t e , entge g en , abe r e r macht e kein e Anstalten , es z u neh m en . Stattdesse n ergrif f e s e i ne r d e r a nderen . Ohn e es z u zähle n , stec k t e e r e s i n sein e Hosen t asche.
»Ist das alles ? «
»Ja.«
»Sch m uck?«
Sie funkelte ihn böse an, sagte aber: »Nur m eine Ohrringe.«
Der junge Mann überlegte. » K annst du behalten. Ich hab dir gesagt, dass du hier nix zu suchen hast um so ’ne Zeit.«
»Wa r scheinba r ei n gute r Rat« , e r widert e sie , wurd e si c h bewusst , w i e locke r da s Obertei l ih r e s Kle i de s s a ß un d be- gan n mi t zittrige n F i nge r n , di e Mant e lknöpf e z u schließen.
»Gehst jetzt besser«, sagte der A nführer. »Hier isses nicht sicher, haste ja gesehen.«
Der vierte Junge, der bislang noch gar nichts gesagt hatte, wandte sich an den Sprecher: » W ülste die wirklich gehen lassen? Die sieht gut aus.«
Der Anführer schenkte Chiara ein breites Grinsen, anzüglich genug, um sie die Fäuste ballen zu lassen.
»Das ist eine von uns«, sagte er zu dem Jungen. »Riechst du’s nicht? Verkauft ihre Möse für Geld. Die hat’s den ganzen Abend lang getrieben.«
Keine Strauchdiebe, sondern Stricher, dachte sie. Wahrscheinlich hatten sie vergeblich auf Kundschaft gewartet, und als sie sie hatten kom m en sehen, hatten sie sich einen Spaß dara u s ge m acht, ihr einen Schrecken einzujagen. Bis der W agen aufgetaucht war.
Ihr Blick blieb hart, aber sie wählte ihre W orte jetzt ein wenig versöhnlicher. »Auf jeden Fall vielen Dank. Das hätte übel ausgehen können.«
»Die wollten ficken«, sagte der k l eine Junge o hne je d e Hä m e, beinahe sachlich.
»Ja«, sagte s i e, dac h te a b er: Nein, d as wollten s i e nicht.
Da ist sie, hatte der eine Mann gerufen. Und dabei auf ihre Narbe gestarrt. Die gleiche Narbe, die sie b ei Tor b en gesehen hatte.
»Komm mit«, sagte der Anführer, »wir bringen dich ein Stück. W o willste ’n hi n?«
»Nach Hause.«
»Und wo ist das ? «
Sie überle g te kurz, dann entschied sie sich für die Wahrheit.
»In der Nähe vom Bahnhof Tiergarten. Aber bis dahin schaffe ich’s allein.«
Er schüttelte den Kopf. »Ko m m t n i cht infrage. Ham ja sowieso nix zu tun. Zum Bahnhof, ja ? « S i e nahmen Chiara in die M i tte.
Am Bahnhof Tiergarten fragte der Anführer, ob sie den Rest des W e ges allein finden würde. Sicher, erwiderte sie, kein Problem. Und dann verschwanden die vier im Dunkeln ohne ein weiteres W ort.
Wenig später bog sie in die Straße ein, in der ihre Wohnung lag. Vor dem Haus st a nd eine einzelne Laterne und ließ die U m gebung noch dunkler erscheinen, weil sie nur ihren eigenen Pfahl beschien.
Ihre Finger zitterten, sie h a tte Mühe, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Auf den Holzstufen der Treppe klangen ihre Schritte hohler a l s sonst, und sie war sicher, dass alle im Haus davon erwachen würden.
Vo r de r Tü r lage n Geschenke . Mehrer e Sc ha c h teln , d i e m e iste n bun t verpack t un d m i t kleine n Grußkarte n ihre r Ver- e h rer .
Weitere Kostenlose Bücher