Das zweite Gesicht
geführt hatte, hatte die eisige A t m osphäre der hellen Räu m e sie bedrückt. Heute erschienen sie i h r ei nl adender, s e lbst im Kunstlicht d e r zahllosen L a m pen, die jedem W i nkel sein Gehei m nis entrissen und deren Schein den Marmor und die lackierten Holztäfelungen zum L e uchten brachte. Vor der Glaswand im Wohnzimmer erstreckten sich der Garten und das Ufer der Krummen Lanke in der Nac h t, der See sel b st war fast unsichtbar. Das Licht, das aus dem Haus n a ch draußen fiel, riss ein paar der vorderen Birken aus der Dunkelheit wie knochenfarbene Säulen. Falls dort draußen je m and stand und sie beobachtete, konnte sie ihn von hier aus nicht sehen.
Sie hatte den Überfall im Tiergarten a m frühen Morgen der Polizei ge m eldet. Ein Bea m ter hatte ein Protokoll aufgenommen, ihr jedoch wenig H offnung g e m acht, dass m an die S c huldigen aufspüren werde. W as, um H i mmels willen, s i e denn veranlasst habe, m itten in der Nacht z u Fuß durch den Tiergarten zu gehen? Eine Frau wie sie. Eine Berü h m theit.
Darauf hatte sie keine Antwort gewusst, hatte alles auf den Alkohol geschoben und versprochen, so etwas nie wieder zu tun – hoffentlich sarkastisch genug, da m it die Männer ih r e Bitterk e it be m erkten. Dann hatte sie sich bedankt und war gegangen, überzeugt, dass die Sache da m it f ür die Polizei e rle d i gt war. Sie trug selbst die Schuld an de m , was geschehen w ar – daran hatten die Blicke d e r Poli z isten k einen Zwei f el gelassen.
Während sie durch die Räu m e und Flure der Villa streifte, dachte sie noch ein m al über alles nach. W ar es möglich, dass die beiden Männ e r wirklich nur nach d er Narbe gesucht hatten? Das w a r a b surd. Aber absurd war auch, dass sie und Torben an der gleichen Stelle operiert worden waren.
Was waren die Fakten?
Sie hatte einen Unfall, wurde von Masken in eine Privat k li n ik gebrac h t u nd erwachte drei T age später m i t einem frisch vernähten Schnitt in der Bauchdecke. Jakob, ihr Begleiter während der verhängnisvollen F ahrt, war seither spurlos verschwunden. Torben Grapow, der wie sie selbst von Masken protegiert wurde und ihm gleichfalls den Start seiner Karriere zu verdanken hatte, wurde von einem Einbrecher ersc h l agen. Dabei stellte sich heraus, dass er zwanzig Monate zuvor in derselben Klinik gelegen hatte, m it der gleichen Verletzung. Und dann wurde
Chiara von zwei Männern überfallen und ausgezogen, die sich nicht für Sex, sondern nur für ihre Narbe int e res s ie r t e n.
Und wenn alles eine aberwitzige Verkettung von Zufä ll en war?
Nein, kein Z ufall. Dahinter stand ein Plan. Aber wer trug die Verantwortung? Masken w ar der nächstliegende Verdächtige, auf den alle Hinweise deuteten. Doch eines sprach entschieden gegen ihn: Er gewann nichts dadurch. Torbens Tod hatte ihre ge m einsamen Pläne d u rchkre u zt. Chiaras Unfall hätte sie endgültig davon abbringen können, seinen Fünf-Fil m e-Vertrag zu unterzeichnen. Und er kannte C hiaras Nar b e, hatte sie m it eigenen Augen in der Klinik gesehen; er brauc h te keine Handlanger, um sich zu vergewissern.
Wer aber wusste noch von dem Unfall und ihrem Au f enthalt in der Klini k ? Ursi, natürlich. Sie hatte Stillschwei g en geschw o ren, aber wer wusste, o b sie s i ch daran gehalten hatte? W o m öglich hatte sie Arthur Her m ann davon erzählt. Und durch ihn m ochte es Gott weiß w e m zu Ohren gekom m en sein.
Sie m usste Ursi fragen. Musste sichergehen, dass sie den Mund gehalten hatte. Und falls Ursi tatsächlich dichtgehalten hatte? Nun, dann war sie wieder am Anfang und so schlau wie zuvor.
Chiara war bereits ei ne W eile durch alle Räume gestreift, durch das private Kino m it den weißen Ledersitzen, die Bibliothek, in der es keine Bücher gab, die Gästezimmer mit d en geh e imen Gucklöchern in den Wänden, vorbei an Zim m erspringbrunnen, die jetzt wieder leise plätscherten, und an unzähligen Mar m orbüsten und Putten, ehe ihr bewusst wurde, dass sie ihren Mantel nicht abgelegt hatte, so als wäre sie ein Gast in diesem Haus, nicht die neue Bewohnerin.
In der Manteltasche steckte Elohi m s U m schlag.
Sie stieg die Stufen im Wohnz i mmer e m por, bis sie die hoch gelegene Plattform m it der Badewanne erreichte. Durch die rie s ige Fe n sterfront z u m Garten s t arrte die Finster n is si e m it unsi c htbar e n Augen an. Chiara setzte sich auf
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