Das zweite Gesicht
eine Antwort, die nie m als k a m .
Ein Geisterhaus, dachte sie, um sich gleich d arauf zu widersprechen: Nein, hier gab es keine Geister, nie m anden, der Einfluss nah m . Nur sie selbst. Und Nette.
Irgendwann k a m ihr ein Gedanke, der ihr m ehr Angst m achte als jede Vorstellung von Gespenstern und Stim m en aus dem Jenseits, ein Gedanke, der ihr fortan f olgte, als w äre e r sel b st zum Phantom geworden:
Nicht in Häusern spukt es, nur in K öpfen.
Einundzwanzig
Gegen acht Uhr klingelte es, und da standen sie: die Männer im S m oking, die D a m en in ihren neuesten Kleidern. N ette ließ sie ein, nahm Mäntel und Hüte ab, bis sie au s sah wie ein wandelnder Garderobenständer – wodurch sie im m erhin den neugierigen Blicken den Männer entging.
Es war Chiaras fünfundzwanzigster Geburtstag, und obwohl sie sich ursprünglich geweigert hatte, ihn zu feiern, hatte Ursi sie vorgew a rnt: Sie würde wohl nicht darum herumkom m en, sich am Abend auf ein paar Gäste einzu s tellen. Ob sie wolle oder n i c h t, es sei n u n ein m al beschlossene Sache. C hiara hatte den Verdacht, dass wieder einmal M asken h i nter diesem unerwünschten Gute- Laune-Anschlag steckte. Ergeben hatte sie einen grauschwarzen Anzug von Flatow & Schädler angezogen, ihr Haar frisiert und im W ohnz i mmer darauf gewartet, dass die Türglocke läutete.
Es war die ganze Bande: U r si und Arthur Her m ann; Masken und irgendeine Schla m pe, deren Nasenlöcher vom Koks so rot waren wie ihre Fingernägel; ein Mann, den Masken als neuen Sekretär ausgab, d er aber eher die Stat u r eines Leibwächters hatte und sich akzentfrei als Iwan vorstellte; außerdem Maria Mariannsen, die Blondine, der Chiara erst m als auf Ursis Dach begegnet war und die nun wirklich die allerletzte war, d i e s i e an ihrem Geburtstag zu sehen wün s chte. Chiara hatte s i e v öllig aus d e n Augen verloren, und so erstaunte es sie umso m ehr, als sie sah, wer Maria begleitete: Leas Mann, der W einhändler. W i e hieß er noch gleic h ? Ed g ar? Gut m öglich. Offenbar war es Maria gelungen, ihn Lea auszuspannen. Kein W under, dass Lea sich seit einer Ewigkeit nicht m ehr auf E m pfängen und Part y s hatte s e h en lassen. Ver m utlich hatten die m eisten längst von seiner Liaison m it Maria gewusst, nur sie selbst nicht, und Chiara erinnerte sich m i t einer gewissen W eh m ut an L eas Beteuerungen einer guten Beziehung. » W enn es etwas gibt, das dich in diesem verdam m t en Geschäft bei Ver s tand hält, dann eine solide, glückliche Ehe«, hatte sie ein m al gesagt. Chiara fiel es schwer, sich an ihre Stimme zu erinnern, so lange hatte sie Lea nicht m ehr gesehen.
Solide und glücklich … M a rias Hand lag ständig zwischen Edgars Beinen, und sein Grinsen war dabei so stu m pfsinnig, dass Chiara ihm kaum in die Augen schauen konnte, aus Angst, es könnte ansteckend sein. S i e ärgerte sich, dass er hier war. Das war Ursis Schuld: Sie hatte den Vorschlag g e m acht, Maria einz u l a d en, m it der sie s i ch in letzter Zeit erstaunlich gut verstand. Ve r m utlich kokste sich Ursi all m ählich um d e n Verstand, was sie unausweichlich früher oder s päter auf Marias Int e lli g enzniveau brin ge n m usste.
Chiara f ührte ihre Bes u cher ins W o hnzim m er, während Nette s i ch um die Getränke küm m erte. Sie hatten ein kaltes Büff e t kom m en lassen. Chiara hatte erst ver m utet, dass Nette über diesen Vorsc h lag beleidigt sein könnte – sie war sehr stolz auf jeden Fortschritt ihrer Kochkünste –, doch wie sich herausstellte, war sie m ehr als erl e icht e rt. Das bewahrte sie alle vor Experi m enten und Nette vor einer Menge Arbeit.
Nette h atte sich für den A b end herausgeputzt, nicht m it einem von Julas Kleidern, sondern einem eigenen, das sie sich von einem ihrer ersten W ochenlöhne in Chiaras Haus gekauft hatte. Sie hatte es Chiara vor ein paar Tagen vorgeführt, wie ein etwas linkisches Mannequin auf ein e m Laufsteg, und sie hatte sich dabei so gefreut, dass ihr die Tränen gekommen war e n. Chiara war jedes Mal aufs Neue erstaunt, wie leicht Nette a u s der Fassung zu bringen war, gerade in Anbetracht der Abscheulichkeiten, die sie im Laufe ihrer neunzehn Jahre schon erdulden musste. Es dauerte eine W eile, ehe sie v e rstand, was in Nette vorging: Es war nicht so sehr das Kleid oder das Geld, das sie verdiente, sondern das B e wusstsein, ein neues Leben begonnen zu haben.
Maskens Schla m pe
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