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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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– Chiara machte sich nicht die Mühe, ihren N a m en zu behalten – kicherte viel und trank noch m ehr, aber das taten alle, und schließlich verschwand Her m ann kurz nach draußen und kehrte m it einer Kiste zurück, in der Flaschen m it s m aragdgrünem Inhalt klirrten. »Die grüne Fee ist d a «, verkündete er stolz. Sechs Flaschen Absinth, genug, um sie alle in die Knie zu zwingen. Chiara m ochte den Gesch m ack nach W e r m ut, Anis und Fenchel nicht besonders, aber sie wusste, warum andere geradezu versessen darauf waren: Die W i rkung war ungleich stärker als die anderer Getränke, was erwartungsge m äß vor allem U r si und Maskens B egleiterin freute. Aber den Gesch m ack m a chte das auch nicht erträglicher.
    Masken gab sich fröhlich w i e selten zuvor und war beim Trinken äußerst zurückhaltend. Chiara be m erkte, dass er im Lauf des Abends im m er m ehr von seiner hoffnungslos betrunkenen Begleiterin abrüc k te und verstohlene Blicke in Nettes Richtung warf. Das war u m so ung e wöhnlicher, da Masken gewiss kein Muster scha m voller Zurückhaltung war; gewöhnli c h hatte er keine Proble m e da m it, Frauen, die ihm gefielen, m it Blicken auszuziehen. Nette aber musterte er auf m erksam, beinahe argwöhnisch, und die Alt-Männer-Lüst e rnheit, die er oft so plakativ zur Schau stellte, verbarg er hinter aufgesetztem Frohsinn, m it dem er den anderen begegnet e , d a b ei ab e r i mm er w i ed er  aus den Augenwinkeln Chiaras neues Haus m ädchen taxierte. Kannten die beiden sich? N ette zu m i ndest verriet durch nichts, dass sie Masken schon ein m al gesehen hatte. Nur ein m al, als er sie ansprach, schien sie kurz zusam m en z uzucken, und die Hand, m it der sie ihm ein Glas reichte, zitterte leicht, ehe s i e sich wieder in der Gewalt hatte.
    Chiara be m erkte, dass die Unterhaltungen sie zuneh m end langweilten, die The m en interessierten sie nicht, und vereinzelte Fragen beant w ortete sie gleichgültig und kühl. Es m usste am Absinth und am Koks liegen, dass nie m and Chiaras schlechte Stim m u ng be m erkte. Vielleicht war es ih n en auch einfach egal, so lange Nachschub vorhanden war und alle auf ihre Kosten kamen. Maria fum m elte immer scha m l oser an Edgar herum, während Ursi kichernd dabeisaß und peinliche Ratschläge gab, wie m an es Männern am besten b e sorgt e ; Her m ann hatte sich derweil Maskens Begleiterin zugewandt, ohne Ursi gänzlich aus den Augen zu lassen. Masken w echselte in seiner Aufmerksa m keit zwisc h en C hiara und den übrigen, während Iw an allein in seinem Sessel s a ß, ein Glas Absinth nach d e m anderen trank und es dennoch schaffte, bedrohlich auszusehen. Chiara fragte sich, weshalb Masken ihn m itgebracht hatte; er r ü hrte s i ch n i cht, re d ete wenig und nur, wenn er anges p rochen wurde, und seine Augen geisterten unablässig von einem zum anderen, bis es Chiara sogar vorkam, als bliese jedes Mal ein eisiger W i nd über si e hinweg, wenn sein Blick sie streifte.
    Irgendwann hatte sie selbst m ehr von dem sch e ußlichen Zeug getrunken, als sie vorgehabt hatte, und sie spürte, dass sie die Kontrolle über s i ch verlor. Ein-, zwei m al erwischte sie sich dabei, wie sie zie m lich dum m es Zeug redete, und dann wurde ihr bewusst, dass sie sich tat s ächlich in ein Gesp r äch m it Her m ann hatte verwick e ln
    lassen, obwohl sie ihn nach wie vor ausgesprochen widerlich fand. Sie hatte nic h t vergessen, was L ea ihr über ihn und Masken erzählt hatte.
    Zwischen künstlichem Hochgefühl und kurzen Phasen, in denen sie völlig in ihrem Rausch versank, f ragte sie sich, was sie dazu gebracht hatte, diese Me n schen in ihr Haus zu lassen, so als hätte sie sich verpflichtet gefühlt, etwas fortzuführen, das längst nicht m ehr Teil ihres Lebens war. Dann wieder spürte sie, dass sie die Anwesenheit anderer Menschen genoss, vielleicht weil die selbstgewählte Einsamkeit der vergangenen W ochen stärker aufs G e m üt schlug, als sie sich eingestehen wollte. Ansatzweise fühlte sie sogar etwas von der alten Ausgelasse n heit, d i e si e m anch m al auf Part y s gespürt hatte, und je später es w urde, desto zufriedener wurde sie m it d e m Ve r l auf des Abends.
    Maria und Edgar verabschiedeten sich, doch sie verließen nicht das Haus, sondern verschwanden in einem Gästezim m e r, wie Nette Chi a ra bald darauf hinter vorgehaltener Hand zuflüsterte. Alle fanden das schrecklich goldig von ihr und behandelten sie wie ein kleines Kind, das

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