Das zweite Gesicht
lächelte wieder, nicht sic h er, ob sie es ehrlich m einte. Sie f ühlte sich verpflichtet, das war alles. »Sie können erst m al hier bleiben. Ich m eine, ich kann je m a nden gebrauchen, der sauber m acht und vielleicht besser kochen kann als ich.«
»Ehrlich?« Nette strahlte. »Ist das Ihr Ernst ? «
»Können Sie denn kochen ? «
»Kein bisschen.«
Jet z t lac h ten sie b e ide.
»Na gut«, sagte sie schlie ß lich. » A ber Betten m achen und so was, das geht doch ? «
»Auf jeden Fall.«
»Und die Post anneh m en.«
»Hab nie Post bekom m en, aber das werd ich wohl hinkriegen.«
Erneut grinsten sie sich an.
»Gut«, sagte Chiara, »dann st e lle ich dich hier m it ein.« Sie stand auf und reichte N e tte die Hand. »Ich bin Chiara.«
»Nette«, sagte Nette, noch im m er ein wenig schüchtern, obwohl es Chiara vorka m , als käme all m ählich wieder ihr früheres Ich zum Vorschein, die junge Frau, die m ehr m itge m acht hatte, als C hiara s i ch vorzustellen wagte, und die dennoch alles daran set z te, ihren eigenen W eg zu gehen – auch wenn sie bisher nicht weit gekommen war. Oder eben doch: Im m erhin wohnte sie jetzt in einer Villa.
Sie schob den Gedanken beise i te, stand auf und führte Nette in eines der Gästezim m er.
Nette war hin und weg. Vor a llem das kleine Bad, das sie ganz für sich allein hatte, entzückte sie. Im Scheunenviertel hatte sie led i glich eine W aschschüssel gehabt, hier hingegen g a b es neben Becken und W asserklos e tt e i ne B a dewanne, s elbst v er s tä n dlich aus Julas h e iß g elie b t em weißem Marmor.
Nette hätte Chiara vor Begeist e ru n g f ast u m ar m t , wäre sie sich nicht im letzten Mo m ent ihres Zusta n ds bewusst geworden. Sie war schmutzig und verschwitzt, und falls irgendwer je m als ein Bad in einer W anne aus Mar m or wirklich nötig gehabt hatte, dann war sie das.
»Ich bringe dir ein paar K l eider von Jula«, sagte Chiara.
»Die dürften einiger m a ßen passen. Jula hat so viel Zeug gehabt, dass wir wohl irgendwas für dich finden.«
Nette fiel ihr nun doch um d e n Hals, und Chiara ließ es m it einer gewissen Scheu geschehen. Dann wünschte sie dem Mäd c hen eine gute Nacht und ging den Gang hinunter zu ihrem eigenen Zim m er. Es war ebenfalls eines der Gästezimmer, weil sie es nicht über sich brachte, in dem Z i mmer zu schlafen, in dem Jula gestorben war. Zu m al dort im m er noch das r i esige weiße Bett stand, auf dem man den Leichnam gefunden hatte.
Morgen m u s ste sie versuchen, Elohim zu erreichen. Und Henriette. W arum war die Kolumnistin ni c ht zu ihr e r Verabredung erschienen?
Aber alle Fragen und Ängste, die sie überfi e len, wurden vom Auftauchen Nettes überla g ert.
Woher wusste sie, wo Chiara wohnte? Hatte irgendje m and sie hergeschickt?
*
Von Luzy erfuhr sie, dass Elohim krank sei. Nichts Ernstes, a b er die Diva brauche ab s olute Ruhe; sie wolle nie m anden sehen und m it nie m andem reden, auch nicht telefonisch. Sie werde sich m elden, wenn es ihr wieder besser gehe.
Henriette ließ sich verleugnen. Jedes Mal, wenn Chiara in der Redaktion anrief, war sie angeblich unterwegs oder in einer Besprechung. Bei ihr zu Hause nahm n i e m and ab, zu m i ndest behauptete dies das Fräulein vom A m t. Chiara kam schließlich zu dem Schluss, dass Henriette sich die Sache ande r s überle g t h atte. W as immer sie Chiara h a tte erzä h len wollen, war j e tzt e n twed e r nic h t m ehr wichtig oder nicht m ehr für ihre Ohr e n bestim m t . Henriette hatte von Aufrichtigkeit gesprochen und von Vertrauen. Offenbar vertra u t e sie Chiara jetzt nicht m ehr. Oder aber je m and hatte ihr nahe gelegt, gewisse Dinge für sich zu behalten.
Chiara hatte gerade den Entsc h luss ge f as s t, die Kolu m nistin so rasch wie möglich persönlich aufzusuchen, als Mitte d e r W oche das überraschen d e Angebot eintraf, die Haup t rolle in ei n em Film zu überneh m en, der m it enor m e m Aufwand in den Ateliers von Te m p elhof und den Freiluftgeländen an der Woltersdor f er Schleuse und den Rüdersdorfer Kalkbergen gedreht wu r de; letzt e re hatt e n schon in m ehreren Fil m en als W üstenlandschaft h erhalten m ü ssen. Die Rolle war in Ordnung, die Gage außergewöhnlich, und Chiaras Anwalt riet ihr dringend, das Ang e bot anzuneh m en. Nicht dass sein Urteil ausschlaggebend war – sie war selbst froh über den Fil m , versprach er doch einiges an Prestige, eine ordentliche Erhöhung
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