Das zweite Gesicht
as davon nach außen drang.
Chiara konnte es nur recht sein. Sie wusste noch i m m er nicht, was sie von Nettes Auftauchen halten sollte. Sie hatte sie gefragt, woher sie von der Villa wusste, und Nette hatte ihr unschuldig erk l ärt, sie habe nur in die Zeitung schauen m üssen. Tat s ächlich fand Chiara dort später, als s i e allein w a r, den Beweis: Hen r iette hatte di e Infor m ation in i h r e r Kolu m ne verbraten, was, wenn sie sich recht erinnerte, nicht g e gen ihre Ab m achung verstieß. Kein W ort stand da über Chiaras Ge m ütszustand, ihre Zweifel an sich selbst oder gar über ihren Besuch bei Voll m oeller. Lediglich den U m zug in Julas V illa hatte Henriette ver m erkt, m it der Be m erkung, dass Chiara nun wohl endgültig und in jeder Hinsicht d as Erbe der Dunklen Diva angetreten habe.
Chiara versuchte, ihrer neuen Gesellschaft das Beste abzugewinnen. Doch trotz all e r Mühe, die Nette sich gab, trotz vieler kleinen G esten – fri s che Blu m en auf dem Tisch, frisc h en Tee, we n n Chiara a b ends nach Hause kam
– blieb ein leichtes Unbehagen. Sie fühlte sich b eobachtet, kontrolliert, und spielte m it d e m Gedanken, in Julas ehe m aliges Schlafzimmer zu ziehen, um nicht m ehr in einem Zim m er zu übernachten, das auf denselben Korridor ging wie das von Nette. Nachts erwachte sie m anch m al und horchte in der Stille des Hauses auf Schritte, wo keine waren, ac h tete auf Lichtschein, der unter ihrer Tür hindurchfallen m ochte, auch wenn nie welcher da war. Und sie ertappte sich dabei, wie s i e Nette in d er Zeit, die sie aben d s m iteinander verbrachten, beobachtete. Manch m al hatte sie das Gefühl, dass es u m gekehrt genauso war.
Sie wusste sehr wohl, w as es bedeutete, ein Haus dieser Größe sauber zu halten und alle nötigen Besorgungen zu m achen; sie hatte sich lange genug um ihren Vater und das Haus in Meißen geküm m ert. Trotzdem überle g t e sie m anch m al, was Nette wohl den ganzen Tag über trieb. Telefonierte sie oder unterhi e lt s i ch am Tor m it Fre m den? Fuhr sie in die Stadt? Wohl kau m , zu groß w a r ihre Angst vor der Bande der Kinderh ä ndlerin und vor der Polizei. Im m erhin hatte sie e i n e n Mann get ö tet.
An m anchen Abenden ging Chiara aus, fuhr ein m al sogar zu Elohi m , wurde aber an der Haustür abgewiesen; die gnädige Frau e m pfange nie m anden, sie könne noch nicht wieder sprechen und s c heue das Tageslicht. An anderen Tagen zeigte sich Chi a ra auf den richtigen Partys, war char m ant, spürte aber rasch, wie sehr ihr das alles zuwider war. Manch m al versuchte sie, vorsichtig Erkundigungen über Jakob Tiberius einzuholen. Nach wie vor hatte ihn nie m and gesehen, und nur wenige wussten etwas über seine Verwicklung in das Medusa-Fiasko: Einige Zeugen hatten w ohl behauptet, er sei bei dem Feuer anwesend gewesen, und darau f hin sei er ebenfalls als Zeuge vor Gericht geladen worden, wo er glaubwürdig belegen konnte, keinerl e i Verbrennungen erlitten zu haben.
D a m it schien einigermaßen sicher zu sein, dass die Aufnah m en, die Chiara gesehen hatte, tatsäc h lich bereits vor drei Jahren und nicht nachträglich gedreht worden waren. Als Erklärung blieb nur, dass sie einem f antastisch e n Fil m trick au f gesessen war – wer oder was auch im m er dort in F l ammen aufg e gangen war, es konnte nicht Jakob gewesen sein, es sei denn, er hätte einen identischen Zwilling, u nd das schien ihr dann doch ein wenig zu sehr an den Haaren herbeigezogen.
Ihr Vertrauen in Masken war keineswegs wiederhergestellt – hatte sie ihm üb e rhaupt je m als getraut?
–, aber sie hörte all m ählich auf, ihn als eine Person zu betrachten, die m ithilfe dunkler Verschwörungen Einfluss
auf ihr Leben und ihre Arbeit neh m e n wollte. Sie war jetzt am selben Punkt, an den auch Jula gelangt war: Die berufliche Abnabelung von Masken, die verblü ff enderweise au c h bei ihr e r Schwester m it dem Einzug in dieses Haus zusam m eng e fallen war.
Nachts im Bett, drei Wochen nach ihrem Besuch auf dem Rummelplatz, starrte sie im Dunk e ln zur Decke und begann Zwiesprache m i t Jula zu halten. Falls etwas von ihr noch in diesem Haus war, falls etwas noch lebte, dann musste es ihr doch gelingen, einen Kontakt herzustellen. Kurz spielte sie m it dem G e danken, erneut das Waisenhaus im Scheunenviertel aufzusuchen und die H ilfe des kleinen Mädchens in Anspruch zu neh m en. Dann aber wisperte sie doch nur tonlos in die D unkelheit und wartete auf
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