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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zum Ersten Mal länger aufbleiben durfte. Masken kam auf den grandiosen Einfall, dem Treiben der beiden durch das Guckloch zuzuschauen, und erstau n l icherweise war es I w an, der als Erster aufsprang und ihn begleitete. Ursi und He r m ann schlossen sich an, während Maskens Begleiterin wie betäubt in einem Sessel lag, kaum noch bei Bewusstsein, eine Hand um ein Glas geklam m ert, den anderen Arm starr abgewinkelt, als grüße sie je m anden, dessen Ankunft allen anderen entgangen war. Ihre Augen waren geschlossen, und trotzdem hatte es den Anschein, als st arre s i e ins Leere: Sie hatte Leberflecken auf beiden Augenli d ern, die au s sahen wie verlaufene P upillen.
    Chiara nutzte die Gelegenh e it und zog Nette in ei n e entfernte Ecke des Rau m es. »Du h ä ttest m i r sagen können, dass du Masken kennst.«
    Nette sah sie entgeistert an. »Aber ich kenne ihn doch gar nicht!«
    »Ich hab gesehen, wie er dich anstarrt.«
    »Ist das m eine Schuld ? «
    »Und wie du gezittert hast, als er m it dir gesprochen hat.«
    »Ich hab nicht gezittert.«
    »Dann hat wohl der Boden gebebt, ohne dass es irgendwem sonst aufgefallen ist.«
    »Ich habe nicht gezittert«, wiederholte Nette, bemüht die Form zu wahren, aber nah daran, wütend zu werden. Nervös strich sie ihr Kleid glatt.
    »Nun, wenn du ihn nicht kennst … er jedenfalls kennt dich.«
    »Viell e icht war er m al als Freier b e i m i r.«
    »Daran würdest du dich nicht erinnern ? «
    »Erinnerst du dich an alle Männer, denen du m al die Hand geschüttelt hast? Das ist kein großer Unterschied, glaub m i r.«
    Chiara wollte etwas erwidern, presste dann aber die Lippen aufeinander und spürte, dass sie sich jetzt hätte schuldig fühlen sollen, unangenehm berührt oder zu m i ndest beschä m t . Statt d essen wurde sie nur noch wütender a u f Nette, oh n e zu wis s e n , wieso. Im gleichen Maß, in dem die Anwesenheit der anderen sie freute, m achte Nettes Hiersein s i e aggressiv.
    Ehe sie et w as sagen konnte, ertönte Gelächter, und die Gäste kehrten zurück. Nur Maria und Edgar fehlten noch. Ursi sprudelte kichernd Beschreibungen dessen heraus,  was sie gesehen hatte, während Her m ann ihr den Hintern tät s chelte. Maskens Lachen er s tic k t e, als er den Zustand seiner Begl e it e rin b e m erkte, und m it einem W i nk gab er Iwan zu verstehen, s i e zu ent f ernen. »Ins Auto«, sagte er.
    »Ach was, schaff sie fort. Von m i r aus zur nächsten Straßenecke.« Als er C hiar a s rügenden Blick be m erkte, fügte er in Iwans Richt u ng hinzu: » Fahr sie m einetwegen nach Hause. Aber beeil dich!«
    Iwan nickte stoisch. E r hob die Frau hoch wie einen  Leichnam und trug sie zur Haustür.
    »Sie könnte in einem der Gästezimmer …«, begann Nette schü c htern, ab e r Chiara br ac hte sie m it einem Blick zum Schwe i gen. W enn sie eines trotz ihres Rausches ganz genau wusste, dann, dass sie m orgen nach dem Au fw achen keinen d e r Gäste m ehr im Haus sehen wollte, schon gar kein verkatertes Flittchen, das wo m ö glich die halbe Einrichtung m itgehen ließ.
    Erst nachdem Iwan und die Frau verschwunden waren, begriff sie, dass Nettes Vorsc h lag aus Mitgefühl entstanden war: Die Frau war vermutlich eine Prostituierte, und Nette wusste nur zu gut, wie sie sich fühlen würde, falls Iwan Maskens Order m i ssachtete und sie irgend w o in der Gosse a b lud. Wahrscheinlich wussten weder er noch Masken, wo sie wohnte.
    Her m ann hatte ein z u sät z liches Geburtstagsgeschenk m itgebracht, das er jetzt aus seiner Hosentasche zog.
    »Kein Gift«, verkündete er m it groteskem Augenzwinkern, während er ein bisschen weißes Pulver aus einem Döschen in alle Gläser streute. »Macht garantiert lustig.«
    Chiara protestierte nur schwach, letztendlich kam es darauf auch nicht m ehr an.
    Alle prosteten sich zu und waren nach ein paar Minuten  noch vergnügter. Ursi konnte gar nicht m ehr aufhören zu lachen und trom m elte auf ihren nackten Oberschenkeln (wann hatte sie eigentlich ihr Kleid aus g ezoge n ? ), während Edgar lallend m it der G röße seiner Erektion prahlte (nur m it W or t en, Gott sei Dank) und Maria Avancen in Maskens Richtung startete. Irgendwann saß auch Iwan wieder in se inem Sessel, Chiara h a tte gar nicht be m erkt, wie er zurückgekehrt war, und m anch m al huschte eine Gestalt an den Rändern ihrer W ahrneh m ung vorüber, die sie m al als Nette ide n tifizierte, dann wieder als geisterhafte Ersche i nung, die ihr die gute Laune

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