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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dran, ihm von ihren Erlebnissen in dem m ysteriösen Resta u rant zu erzählen, aber n och immer war die Überzeugung zu tief in ihr verankert, dass es sich um nichts als Fantastereien gehandelt hatte. Verzweifelt versuchte s i e, aus all dem einen Sinn a b zuleiten, herauszufinden, welche Ereig n isse in welchem Zusammenhang zu seinen Behauptungen standen. Aber sie war nicht in der Lage, sich zu konzentrieren, und das brachte sie nur noch m ehr durcheinander.
    »Ich habe noch m ehr von diesen Gläsern in Maskens Haus gesehen.« Sie deutete auf ihr eigens, das vor ihr am Boden stand. »Sie glauben tatsächlich, jeder dieser Leute hat einen Doppelgänger?«
    Er nickte.
    »Aber wa r u m sollte Masken d a s tu n ? W as hat e r davon ? «
    »Seine Rechnung ist ganz einfach: Erscha f f e den egoistischsten aller Egoisten, m ache ihm ein verlockendes Angebot, und er wird es nicht ausschlagen. Und wenn dieses Angebot letzten Endes Masken selbst zugute kom m t, kann er nur dabei gewinnen.«
    »Aber dann hätte er diese Verträge den Doppelgängern anbieten m ü ssen, nicht uns selbst!«
    Er blickte sie schweigend an.
    Sie ve r sta n d ihn n i cht, wollte ihn viell e icht gar nic h t verstehen. »Wo ist m ein Doppelgänger jetzt? W i ssen Sie das ? «
    »Sie haben es noch im m e r nicht begriffen, nicht wahr ? « Sie brachte kein W ort mehr heraus.
    »Die Frage muss nicht lauten, wo Ihr Doppelgänger ist, Chiara.« Unbehaglich w i ch er ihrem panischen Blick aus.
    »Die Frage ist vi e l m ehr: W o steckt I h r Origin al ?«
      
     
      
     
    Vierundzwanzig
     

    Sie redete sich ein, es l ä ge am Koks und am Absinth.
    Es passte alles zusa mm en, der typische, der perfekte Drogentrau m : Sie glaubte irrwit z ige Dinge über sich selbst zu erfahren, Neues an sich zu entdecken, s i c h selb s t in einem anderen, fre m dartigen Licht zu betrachten.
    Ich bin nicht ich. Ich bin eine andere. Oder, nein, ich bin ein besseres Ich als ich.
    Zeit zu schlafen. Besser noch: Zeit endlich aufzuwachen aus diesem Albtrau m .
    Sie stand auf und ging. Der Mann hielt sie nicht zurück. Sie lief wie durch schwarze Ti n t e.
    Und irgendwann k a m sie zu Hause an.
    Nette lag in der W anne im W ohnz i m m er, hoch über der verwüsteten Sitzgruppe, den Pfützen aus Erbrochenem und verschüttetem Absinth und W ein, zertretenen Zigarettenkippen, dunklen Sch m ierstreifen von Asche und den vereinzelten Kleidungsstücken, die von ihren Besitzern vergessen worden waren.
    Chiara h atte ein ähnlic h es B ild schon ein m al gesehen: Ein nackt e r Körper in einer W anne voll m it rot e m W asser. Aber Torben war der S chädel eingeschlagen worden, ein anderer trug die Schuld, und der Ort seines Todes war zu f ällig, n i c ht f rei gew ä hlt.
    Nette hingegen hatte ihre W ahl selbst getroffen.
    Ihr Körper lag ko m plett unter W a sser, nur ihr Kopf schaute aus der rubinroten O b erfläche hervor. Das W asser war vollkommen still. Nette m usste schon eine ganze Weile so daliegen.
    Chiara fiel neben der Wanne auf die Knie. Ihr At e m setzte aus. Sie japste, schluckte Luft und hatte das Gefühl, ihr Körper z er f alle in seine Bestandteile, l ö se si c h ein f ach auf.
    »Nette«, flüsterte sie und hörte es in ihrem Schädel widerhallen wie einen Ruf a u s weit e r Fer n e. Das Echo wurde m it jedem Widerhall schärfer, vorwurfsvoller.
    Sie dachte daran, hier und jetzt ein Ende zu m achen, genau wie Nette es getan hatte. Sich das Leben zu neh m en und da m it ihren letzten, ihren einzigen Trumpf gegen Masken a us zuspi e l en. W enn sie es war, die er wollte, dann würde sie wenigstens das verhindern können. Sie hatte Nette nicht gerettet, und sie konnte sich wo m öglich selbst nicht retten – aber sie konnte diese Sache beenden, ein für alle Mal.
    Ein f ür alle Mal?
    Irgendwo gab es eine zweite Chiara.
    W i e leicht das geht, dachte s i e trä u m erisch. W i e einfach es ist, diesen Gedanken konkret zu fassen, ohne zu zweifeln, o hne ihn infrage zu s t ellen. Die S puren des Avatar. Ein Original, ein Doppelgänger. Alles ganz si m pel.
    Sie beugte sich zur Seite und übergab sich, bis nur noch gelbe Galle auf den Mar m or sprit z te. Ihr Hals war wie zugeschnürt, ihre Lippen aufgesprungen, ihre Zähne so stu m pf, als hätte m an sie m it Sandpapier aufgeraut.
    Und dann öffnete Nette die Augen.
    »Hinter dir«, flüsterte sie, ohne den Kopf zu b e wegen. Die W i rkli c hkeit zers p litt e rte in winzige Mo s aikstei n e.
    Sie war nic h t m

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