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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie. Ganz sicher hübscher, als ich es im Augenblick bin.
    Man sah ihr nicht an, was sie seit dem Unfall durchge m acht hatte. Je m and hatte sie gut gepflegt – und ver m utlich eine hüb s c h e Summe m it ihr verdient. Die Originale mochten ein notwendiges Übel der Verdopplung sein, aber Masken hatte es verstanden, auch daraus noch ein Geschäft zu m achen.
    Die andere streckte langs a m die Hand aus und berührte Chiaras W a nge. Es war kein S t reicheln, eher ein Tasten, wie von einem Kind, d a s zum ersten Mal bewusst in einen Spiegel schaut und sich selbst entdeckt.
    Sie läc h elte. Sie freute si ch.
    Chiara fragte sich, ob ihr G e genüber je verstanden hatte, was Masken m it ihr tat, als er sie v o r eine Ka m era stellte, an Elohi m s Seite. Ob sie beg r iffen hatte, warum sie sich plötzlich selbst in einem Film sehen konnte.
    Zu viele Gedanken schossen Chiara durch den Kopf, geprägt von grenzenlo s em Mitleid – und von Hass auf Masken. W a s sollte sie tun? W ie sollte sie sich verhalte n ? Etwas in der anderen war ausgelöscht, weit m ehr als nur ihre Stim m e .
    Das, was da vor ihr stand, w a r n i cht m ehr sie selbst. Nur noch ihr Körper, beseelt von etwas, das Masken nach seinen W ünschen for m t e und ausnutzte.
    »Es tut m i r so Leid«, flüsterte sie, während die Fingerspitzen der anderen im m e r noch ihr Gesicht berührten. »So unendlich Leid.«
    Einer Anwandlung folgend trat sie vor und u m ar m t e ihr Ebenbild. Tr änen liefen ihr übers Ge s i cht. Als s i e sich von der anderen zurückzog, sah sie das Unverständnis in ihren  Zügen, die Verwirrung eines Kindes, aber auch die blinde  Dankbarkeit eines m i sshandelten Tiers.
    Chiaras Ha n d glitt erne u t in die Tasche, und dies m al zog sie Sagers Revolver hervor. Sie blinzelte Tränen aus ihren Augen, als sie die andere aber m als u m a r m t e, eine leere Hülle, die Maskens Manipul a tionen ausgeliefert war. Dies m al wurde d i e Ge st e erwi d ert, als hätte Chiara s i e m it ihren Gefühlen angesteckt.
    Hinter dem Rücken der and e ren hob Chiara langsam die  Waf f e.
    Maßte sie sich etwas an, das i hr n i cht zus t and? War d i e junge Frau vielleicht sogar glücklich? Sie war monatelang ausgenutzt worden wie eine Sklavin, und nun lebte sie hier in der Villa, sie war berüh m t, und vielleic h t wusste sie all das zu schätzen, war wo m öglich voller Dankbarkeit und Glück, dass sich ihr Schicksal gewendet hatte.
    Ein Knirschen ertönte, als Chiara den Hahn spannte. Unendlich langsam hob sie die W affe neben den Kopf der anderen, auf Höhe ihrer Schläfe.
    Du hast kein Recht dazu.
    Sie sah ihr ins Gesic h t. Die andere lächelte, hob eine Hand und pflückte eine Träne von Chiaras Wange wie einen Edelstein. Die W a ffe schien si e nic h t zu b e m erken, oder sie sc h enkte i h r ei nf ach keine Beachtung.
    Du darfst es nicht tun. Ich m uss.
    Sie will leben. Genau wie du.
    Aber sie le b t nic h t. Sie reagi e rt n u r, sie tut, was m an ihr sagt. Sie versteht nicht, warum ich hier bin, und sie wundert sich nicht m al darüber.
    Sie denkt, du bist genauso ihr Ebenbild wie das auf der  Leinwand, und sie freut sich, dass sie es ein m al berühren  kann. Sie ist dankbar. Sie ist glücklich. Man tötet kein  Kind, nur weil es zurückgeblieben ist. Oder anders. Aber das hier war ein m al ich!
    Ja … früher. Heute bist du es nicht mehr.
    Chiaras Ha n d m it der W a ff e zitt e rte. Ihr Zeige f inger l a g gekrüm m t um den Abzug, aber sie konnte nicht abdrücken. Da war so viel Vertrauen in diesen Augen, so viel unschuldige Freude, Verwirrung, sogar eine m erkwürdige, m elancholische Frö h lichkeit.
    Masken wü r de all d as v e rgi f ten.
    Chiara schloss die Augen. Ihr Herzschlag pochte hohl in ihren Ohren. Sie spürte, wie sich die Brust der anderen an ihrer eigenen hob und senkte.
    »Es tut m i r so Leid«, sagte sie noch ein m al. Je m and stieß einen Schrei aus.
    Chiara federte zurück.
    In der Tür des W ohnz i m m ers stand eine Frau. Ein Stapel loser Blätter war ihren H änden entglitten und hatte sich zu ihren Füßen am Boden verteilt.
    Chiara hielt noch im m er die W a ffe, aber die Frau schrie kein zweites Mal. Sie war kleiner als Chiara, um einiges älter und trug einen schmucklosen grauen Rock m it weißer Bluse. Ihr Haar war streng zur ü c k genommen. Vor ihr e r Brust bau m elte e i ne sc h m ale Brille an ein e r Sil b erkette.
    » W as wollen Sie ? «, stieß sie hervor, ehe ihre Augen sich

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