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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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w a r versc h los se n. N i chts deutete darauf hin, dass je m and regel m äßig her k a m . Keiner, auch n i cht Masken, wusste, wo Jakob wohnte. Hatte er ein Zim m er hinter der Hall e ? Bes a ß er ir g en d wo in der Stadt e i n Apart m ent? Chiara e rhi e lt k e ine Antwort auf ih r e Fragen, a uch nic h t bei seinen anderen Schülern.
    Drei Tage lang kam sie immer wieder zur Halle, warte t e auf ihn, hinterließ Nachrichten, die sie unter der Tür hindurch schob, schaute durch die dunklen Fenster um möglicher w eise etwas zu entdecken. Vergeblich.
    Am vierten Tag erwog sie, die Polizei einzuschalten. Sie verwarf den Gedanken, weil sie fand, dass es ihr nicht zustand, sich in seine Ang e legenheiten zu m i schen. Er mochte alle möglichen G r ünde haben, unterzutauchen.
    Der Haken war, dass es nicht s e ine Art war. Sie hatte ihn kaum gekannt, gewiss, doch d i eses Verhalten p asste n i cht
    zu ih m . Sie überlegte sogar, dem Waisenhaus im Scheunenviertel einen zweit e n Besuch abzustatten, vielleic h t w usste d er alte M a nn m ehr. Doch letzten Endes entschied sie sich dagegen, a u ch w eil sie alles m i ed, das sie m it der E rinnerung an die Seance konfrontierte.
    Es fiel ihr schwer, in der Rückschau ihre eigenen Motive nachzuvollziehen. W as hatte sie finden oder beweisen wollen? W a s hatte sie angetrieben, was bewegt?
    Keine Jula. Keine weit e re Suche.
    Und kein Jakob, wenn er es denn so wollte. Es tat nic h t ein m al besonders weh, jetzt nicht m ehr.
    Sie beendete die Dreharbeiten, die wegen ihres Unfalls unterbrochen worden waren, und nahm ein neues Angebot an. Um sich abzulenken, hätte sie früher gesagt. Jetzt wusste sie es besser: Um zu arbeiten. Nur um zu arbeiten.
    Ein neues L eben? Vielleicht.
    Eine neue C hiara? Ganz sicher sogar.
     
     
    *
     
     
    Sie fand eine W ohnung in der Nähe vom Bahnhof Tiergarten, nur einen Steinwurf entfernt von der Berliner Porzellan m a nufaktur. Das war ein Zufall, gewiss, aber es kam ihr trotzdem vor wie ein W i nk, dass etwas in ihr sich im m er noch hei m lich nach Meißen zurücksehnte.
    Die W ohnung hatte drei Zim m er, recht groß und m i t hohen Decken, die Diele war m it prachtvollem Stuck verziert. Eine W endeltreppe im Wohnz i mmer führte in einen kleinen Dachgarten, den der Vorbesitzer m it viel Liebe angelegt und gepflegt hatte. Hohe Pflanzen schützten die quadratische T e rrasse nach allen S eiten vor Blicken, und es gab eine ge k achelte Vertiefung, kleiner als  Leas Swimmingpool, aber weit größer als eine  Badewanne; im Sommer war das eine feine Sache.
    Das Badezimmer selbst war purer Luxus, aufwendiger noch als das Bad i m Adlon. Schwarzer Mar m or bedeckte den Boden und die W ä nde. Die Ar m aturen hatten goldene Griffe, angeblich echt, obwohl sie das bezwei f elte, aber auch keine Lust hatte, es überprüfen zu lassen.
    In einer der ersten Nächte in i h rem neuen Schla f zim m er kam ihr erst m als zu B e wusstsein, dass dies wahrlich und wahrhaftig ihre ersten eigenen vier W ände waren. Kein Zimmer im Haus ihres Vaters, keine Hotel s uite, sondern ihre erste eigene W ohnung! Als ihr das klar wurde, stra m pelte sie im Bett vor Begeisterung m it den Füßen wie ein Kind und hatte das Gefühl, sie könnte die ganze W elt u m ar m en. I hr war, als m üsste sie jeden Mo m ent vor Ausgelassenheit platzen, und sie dankte Jula und dem Schicksal, das sie nach Berlin geführt hatte.
    Den Dank an Jula nahm sie gleich wieder zur ü ck. Es war ihre eigene Entscheidung, die sie hierher gebracht hatte. Ihre Zielstrebigkeit, ihr Mut.
    Ruhe in Frieden, Jula. U nd lass m i r m einen.
    Ihr Hand berührte die Nar b e auf ihrem Bauch, nur noch als roter Streifen s i chtbar. Sie m assierte d en sch m alen Wall aus Fl eisch m it dem Finger, rieb ihn behutsa m , fast zärtlich, und die kleinen Sti c he, die ihr das versetzte, waren beinahe angenehm.

Dreizehn
      
    Im Atelier hatten sie eine künstliche Küste errichtet m i t fünf Meter hohen Felsklipp e n aus Holz und Beton und einer tosenden Brandung, die von ohrenbetäubenden Generatoren in Gang gehalten wurde.
    Chiara kroch aus d e m Wasser ans Ufer, scharrte m i t Knien und Händen durch feinen Kies und ließ sich kraftlos niedersinken, gerade theatralisch genug, um den Regisseur zufrieden zu stellen, aber nic h t so schlim m , dass i h r die eigene Gestik später p einlich s ein m usste. Hoffte sie jedenfalls. S i cher sein konnte m an nie, das wusste sie, seit sie i h ren z w eiten F ilm

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