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Das zweite Imperium der Menschheit

Das zweite Imperium der Menschheit

Titel: Das zweite Imperium der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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und ein dünnes
Polster aus Laub und Ästchen, von Fäden der Flechte zusammengehalten.
    Gabriella kämpfte wie ein Tiger. Sie schlug um sich, fetzte einen Teil
der Hängeflechte herunter; diese wickelte sich um den einen Arm des Mädchens.
Gabriella spürte den Schmerz nicht, mit dem eine klebrige Substanz der
Pflanze von ihrem Fleisch Besitz ergriff. Es gelang ihr, sich aus dem Loch zu
befreien. Sie zog sich an einem Wurzelstück hoch und merkte, dass die schwelenden
Dämpfe sie betäubten.
    Langsam wurde sie müde. Sie war nur noch zur Hälfte von dem Wunsch
besessen, sich hier herauszuschlagen. Noch einmal raffte sie sich auf, zerriss
die Flechte und taumelte an dem Baum vorbei, entgegen dem Teil, an dem das Gras
nur in dünner Linie brannte. Sie stolperte, fiel hin und blieb liegen.
Weiche, pelzbedeckte Arme rissen sie hoch.
    Sie war bewusstlos und spürte nicht die harten Muskelstränge unter
der seidigen Haut. Sie sah auch nicht, wie die silberne Gestalt sich über
sie beugte, sie auf die Arme nahm und mit einigen Sätzen hinuntereilte
zum Wasser. Dort sprang sie mit der bewegungslosen Last hinein und tauchte unter.
Sofort ließen die anliegenden Flechten los. Sie lösten sich in dem
kühlen Wasser; ihr Saft verlor die Haftwirkung. In kleinen Fetzen trieb
der mörderische Aasfresser mit der Strömung davon.
    Die silberne Gestalt blickte lange auf die junge Frau. Dann hob sie Gabriella
auf die Arme und pirschte sich am Ufer entlang in die Nähe des Hafens.
Hinter jeder Deckung blieb der silberne Riese stehen und sicherte. Schließlich
erreichte er den Materialaufzug und legte die Frau dort nieder. Kreischend drehte
sich die Trommel. Langsam wand sich die Plattform des Aufzugs hoch, das Geräusch
war in ganz Hierokanpolis zu hören.
    Der Riese drehte seine Augen nach allen Seiten, trat ans Ufer und sprang mit
einem gewaltigen Satz ins Wasser. Er schwamm einige Züge unter Wasser und
kam wieder hoch. Quer im breiten Mund hatte er ein stählern schimmerndes
Messer. Kaum eine Minute später arbeitete er sich einen Pfad am Steilufer
hinauf und tauchte im Wald unter.
     
    Tonie untersuchte die junge Frau, als zwei Siedler ihr die Bewusstlose brachten.
Sie hatten das Geräusch des Aufzugs gehört und Gabriella gefunden.
Die Verbrennungen an beiden Unterarmen und an der Schulter wurden mit einer
Salbe behandelt, dann kamen Leinenbinden darüber. Endlich öffnete
Gaby die Augen.
    »Was ist passiert? Bist du mit dem Aufzug gefahren?«
    Die junge Frau wusste im Moment nicht, wo es sich befand. Endlich richtete sie
sich auf und blickte sich um. Dann erzählte es mit sich überstürzenden
Worten, in welch tödliche Falle sie geraten war.
    Siedler, darunter Duff, der Botaniker, machten sich mit ihren Instrumenten auf
den Weg. Duff hatte ein einfaches Mikroskop konstruiert und benutzte es auch
für seine Arbeiten. Sie fanden die verkohlte Fläche, den Rest der
Decke und die zerstörte Flechte. Sie fanden Spuren. Aber das Gras sagte
nicht aus, welcher Fuß hier gegangen war. Es war nicht ausgeschlossen,
dass ein Siedler die junge Frau aus dem Flammenmeer gerettet, sie zum Fluss
und zum Aufzug gebracht hatte. Aber wer war es gewesen? Rätselhaft!
    Duff wollte, dass sich alle Siedler abends im Versammlungshaus einfanden. Er
konnte ihnen schildern, was hier geschehen war und dass eine neue, noch nicht
beobachtete Gefahr auf sie lauerte und sie töten konnte, wenn sie nicht
vorsichtig genug waren.
    Die Siedler kamen vollzählig. Duff stieg aufs Podium, stellte sich hinter
das Pult und begann zu sprechen.
    »Freunde! Der Planet ist offensichtlich noch nicht willens, sich uns zu
unterwerfen. Anscheinend waren die Fauna und Flora bis zum Zeitpunkt unserer
Ankunft die herrschende Schicht. In uns erblicken sie Konkurrenz. Sie scheinen
sich verbissen zu wehren. Jedenfalls wäre es ihnen fast gelungen, unterhalb
der Rinderweiden die Tochter Clydes zu töten. Sie kam knapp davon, weil
sie jemand rettete. Ich frage – wer war es?«
    Niemand meldete sich, jeder sah seinen Nachbarn an, und bald wussten alle, dass
niemand aus Hiorakonpolis um diese Zeit unten am Fluss gewesen sein konnte.
    »Schön«, sagte Duff ärgerlich, »dann war es eben ein
Besucher aus einer anderen Welt. Oder Gabriella ist selbst davongelaufen und
weiß es nicht mehr. Ich persönlich vermute, dass es irgendein Junge
war, der sie gern sieht und jetzt zu schüchtern ist.

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