Das zweite Königreich
brandeten gegen die vorderste Linie der englischen Truppen, und das Gemetzel begann. Waffenklirren erfüllte den klaren Oktobermorgen, gewaltige Staubwolken stoben auf, und ein ohrenbetäubendes Gebrüll erhob sich auf beiden Seiten. »Dieu aie!« lautete der vielstimmige Schlachtruf der Normannen, »Gott helfe!« Und die Engländer erwiderten nur ein einziges Wort: »Ut! Ut!« dröhnte es vom Hügelkamm, »Hinaus! Hinaus!« Es klang wie das Gebell von Höllenhunden.
Die beiden Frontlinien schienen vollkommen ineinander verkeilt, bewegten sich kaum. Doch schließlich brach der Gegenangriff der Engländer an der linken Flanke von Williams Truppen durch. Die Bretonen gerieten ins Wanken, wichen zurück, machten schließlich kehrt und flohen. Gegen Harold Godwinsons ausdrücklichen Befehl nahm der rechte Flügel seiner Armee unter seinem Bruder Gyrth und Ælfric of Helmsby die Verfolgung auf und gab damit die erhöhte Position auf dem Hügelkamm preis.
William der Bastard schlug mit seinem Schwert auf den Schild. »Jetzt! Jetzt!« rief er, heiser vor Aufregung und Kampfeswut, und zog mit zweitausend berittenen Normannen in die Schlacht.
Cædmon blieb zurück, zusammen mit Etiennes Vater und den anderen Kommandanten, die es im Gegensatz zu ihrem Herzog für weiser hielten, das Geschehen aus dem Hintergrund zu lenken. Starr vor Entsetzen saß der junge Engländer im Sattel und sah, was er bislang nur aus Geschichten und Liedern kannte: eine Schlacht. Und so blutrünstigund detailfreudig die Schilderungen in der Dichtung auch oft waren, hatten sie ihn doch nicht auf das vorbereitet, was er bei Hastings erlebte. Er hörte die Schreie der Verwundeten und Sterbenden, das schrille Wiehern der stürzenden Pferde, sah das grauenvolle Hauen und Stechen, sah die Engländer mit der gefürchtetsten all ihrer Waffen, der Streitaxt, Ritter und Pferd auf einen Streich fällen, sah ebenso oft die berittenen Normannen die benachteiligten englischen Fußsoldaten aus luftiger Höhe niederstrecken.
Als es Mittag wurde, hatte die Wiese sich in ein aufgewühltes Feld aus rotgefärbtem Schlamm verwandelt, auf dem abgetrennte Gliedmaßen verstreut lagen wie eine schaurige Wintersaat. Und noch immer tobte die Schlacht mit unverminderter Wut.
Dann erhob sich ein Schrei des Entsetzens unter den Normannen: »Der Herzog ist gefallen! Der Herzog ist gefallen!«
»Oh, heilige Jungfrau, steh uns bei«, stöhnte Bischof Odo, bekreuzigte sich, gab seinem Pferd die Sporen und ritt in die Schlacht. Er schwang seinen Bischofsstab, der mehr Ähnlichkeit mit einer Kriegswaffe hatte, über dem Kopf und befahl den Männern brüllend, ihre Stellung zu halten. Doch ehe noch Panik ausbrechen und das normannische Heer in einen kopflosen Haufen fliehender Feiglinge verwandeln konnte, hatte der Herzog sich aus den Steigbügeln seines gestürzten Pferdes befreit und war unverletzt aufgesprungen. Cædmon entdeckte ihn erst, als er sich auf das nächstbeste Pferd geschwungen hatte und mitten im dichtesten Kampfgetümmel den Helm vom Kopf riß.
»Seht!« rief Cædmon dem Seneschall zu, der den Kopf in Trauer gesenkt hatte. »Seht doch, Monseigneur!«
Fitz Osbern blickte auf, und in diesem Moment erhob sich die Stimme des Herzogs über den Schlachtenlärm: »Schaut mich an! Schaut mich an, Männer der Normandie! William ist nicht gefallen! Gott steht mir bei, und mit seiner Hilfe werden wir bald den Sieg erringen!« Er führte das Reliquiar kurz an die Lippen, dann stülpte er den Helm wieder über und wehrte Harold Godwinsons gefürchtete Housecarls ab, die sich gierig auf ihn stürzten, nachdem er sich so leichtsinnig zu erkennen gegeben hatte. Aber es schien, als streite Gott tatsächlich auf Williams Seite. Sein Schwert fuhr durch den englischen Angriff wie die Sense durchs Korn.
Wenig später kehrte Etienne fitz Osbern mit fünftausend Pfeilen aus Hastings zurück. Dieses Mal schossen die Schützen auf Befehl ihresHerzogs ihre Pfeile hoch in die Luft, so daß sie die Engländer von oben trafen, und bald stiftete der tödliche Pfeilregen Panik und Verwirrung unter den Gegnern. Die Reihen lichteten sich, und mit einem gezielten Angriff durchbrachen die normannischen Ritter endgültig den feindlichen Schildwall. Die Housecarls bildeten einen schützenden Kreis um ihren König, doch der Angriff konzentrierte sich auf diesen Ring, der immer dünner und dünner wurde. Vier Normannen brachen schließlich durch, preschten auf die königliche Standarte zu und hauten
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