Das zweite Königreich
gottverdammten Normannenfreund genannt. Vor ein paar Tagen hingegen habt Ihr mich davor bewahrt, daß mein Bruder mich Stück für Stück röstete, habt mir vermutlich das Leben gerettet und noch dazu die schmeichelhaftesten Dinge über mich gesagt.«
Morcar lächelte schwach. »Vielleicht habe ich inzwischen ein paar Dinge dazugelernt. Wenn man ein paar Jahre in der Normandie gelebt hat, sieht man England und den Rest der Welt mit anderen Augen.« »O ja.«
»Und es war natürlich Wulfnoth, der mir klargemacht hat, welche Rolle Ihr an Williams Hof spielt.«
Cædmon schnitt eine Grimasse. »Das hätt’ ich mir denken können. Ihr solltet nicht alles glauben, was Wulfnoth sagt. Er neigt zu Übertreibungen, wißt Ihr.«
Morcar lächelte nicht. »Er ist ein bewunderswerter Mann, Cædmon. Der beste aller Godwinsons. Warum konnte er nicht an Harolds Stelle sein?«
»Vielleicht aus genau dem Grund. Weil er der beste aller Godwinsons ist. Er hätte König Edwards Wünsche hinsichtlich seiner Nachfolge niemals mißachtet. König von England zu sein ist das letzte, was Wulfnoth sich wünscht. Das weiß auch William, deswegen denke ich, daß Eure Sorge um Wulfnoths Sicherheit unbegründet ist. Ihr hingegen seid ehrgeizig, darum war es sehr klug von Euch, Rouen zu verlassen, ehe der König dort eintrifft. Wo ist Euer Bruder, Morcar?«
»Das weiß ich nicht. Und wenn ich es wüßte, bin ich nicht sicher, ob ich es Euch verraten würde, denn Ihr würdet es vermutlich dem König sagen, wenn Ihr Gelegenheit dazu bekämt, nicht wahr?«
Cædmon nickte nachdenklich. »Ja, wahrscheinlich.« Er hatte das Gefühl, er müsse es Morcar erklären. »Ich hatte nie große Illusionen, was William anbelangt, und die wenigen, die ich hatte, habe ich letzten Winter verloren. Aber er ist der König. Das einzige, was ich tun kann, ist zu versuchen, ihn und England miteinander auszusöhnen. Vielleicht ist das ein hoffnungsloses Unterfangen, das ist durchaus möglich. Aber er hat Söhne. Söhne, die beinah schon Engländer sind.«
»Ja, ich verstehe und billige Eure Haltung, Cædmon. Aber sie ist nicht die meine. Ich denke immer noch, Edward hatte kein Recht, William die Krone anzubieten, ebensowenig hatte Harold Godwinson das Recht, sie an sich zu reißen. England sollte einen englischen König haben, und mein Bruder Edwin wäre der beste Mann dafür. Und ich bin sicher, daß ich Hereward dafür gewinnen kann. Er ist kein so übler Bursche, wißt Ihr.«
»Vielleicht nicht. Hereward ist ein Mann vom gleichen Schlag wie Euer berühmter Großvater Leofric oder mein nicht ganz so berühmter, aber unter den Dänen weithin gefürchteter Urgroßvater Ælfric Eisenfaust. Doch die Welt hat sich verändert. Sie und ihre Vorstellungen gehören der Vergangenheit an, und das nicht erst seit der Eroberung. Ihre Zeiten waren schon lange vorher vorbei.«
Morcar dachte darüber nach. Dann fragte er: »Denkt Ihr, der König wird Ely belagern?«
Cædmon hob kurz die Schultern. »Durchaus denkbar.«
»Aber es ist Wahnsinn. Man kann Ely nicht aushungern, die Flüsse und der See könnten zehnmal so viele Männer ernähren. Und keine Armee kann diese Sümpfe durchqueren.«
»Tja. All seine Ratgeber werden ihm genau das sagen, und William wird nicht auf sie hören.«
Morcar lächelte freudlos. »Ich habe meinen Bruder Edwin nicht mehr gesehen, seit er vorletztes Jahr vom Hof geflohen ist«, sagte er leise. »Ich weiß nicht einmal mit Gewißheit, ob er noch lebt. Er war die ganze Zeit im Norden – er könnte Williams Todesreitern in die Hände gefallen sein, unerkannt womöglich, oder er könnte einfach verhungert sein, wie so viele im Norden. Aber wenn er noch lebt, dann sollte er hier sein. Ich will ihn suchen, und ich muß bald aufbrechen. Morgen oder übermorgen oder am Tag danach.«
Cædmon nickte. »Verstehe.« Er stand auf. »Es war sehr freundlich von Euch, mich vorzuwarnen.«
Morcar erhob sich ebenfalls, zog sein Jagdmesser aus der Scheide am Gürtel und reichte es ihm. »Hier, das wird Euch vielleicht dienlich sein. Viel Glück, Cædmon.«
Cædmon ließ die mörderisch scharfe Waffe unter seinem Gewand verschwinden. »Danke. Und ich hoffe, daß Ihr Euren Bruder findet, Mylord. Obwohl er ein gefährlicher Feind ist und wir auf unterschiedlichen Seiten stehen werden, falls wir uns wiedersehen.«
Morcar hob ergeben die Hände. »Dann müssen wir einander bei unserem Wiedersehen eben aus dem Wege gehen.«
Nachdem Morcar gegangen war, machte
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