Das zweite Königreich
Cædmon eine gemächliche Runde durch den Kräutergarten. Es stimmte, er verstand wirklich nicht viel von diesen Dingen, aber er war schließlich auf dem Land aufgewachsen und hatte als Junge Dunstans Schwäche für boshafte Streiche geteilt. Darum war er durchaus in der Lage, einige Pflanzen auf Anhieb zu erkennen. Als er gefunden hatte, was er wollte, pflückte er ein paar Zweige, versteckte sie ebenfalls in seinem Hosenbund und ging pfeifend Richtung Weinkeller zurück.
Oswald und Guthric sprangen von ihren Hockern auf, als Gorm die Tür öffnete und Cædmon hineinstieß. Angstvoll sahen sie ihm entgegen. »Was ist passiert?« fragte Guthric atemlos, als sie wieder allein waren. Cædmon hob beruhigend die Rechte. »Gar nichts. Alles ist in Ordnung. Na ja, fast alles ist in Ordnung. Ich habe mit Morcar gesprochen. Er verläßt Ely. Sehr bald.«
Guthric legte entsetzt eine Hand auf den Mund, und Oswald sagte, was Guthric dachte: »Sobald Morcar Ely den Rücken kehrt, wird Dunstan dich töten.«
Cædmon nickte. »Und ich wette, daß deine offenkundige Gelassenheit ob dieser Aussicht dir abhanden kommt, sobald du weiterdenkst.«
»Ich bin ganz und gar nicht gelassen!« protestierte Oswald empört. »Und wovon redest du?«
»Wenn Dunstan damit liebäugelt, mich mit dem Leben dafür zahlen zu lassen, daß ich noch einen König habe und er nicht – und ich bin sicher, daß er das tut –, dann darf Morcar natürlich nichts davon erfahren. Darum wird er Morcar sagen wollen, ich sei aus Ely geflohen. In dem Fall kann Dunstan sich keine Zeugen leisten, die Morcar berichten könnten, daß Gorm mich hier rausgeschleift hat. Das heißt, er wird uns alle drei umbringen. Denk ja nicht, dein Abt könnte euch retten.«»Mein Abt würde mich auch dann nicht retten, wenn er könnte«, gab Oswald bissig zurück. »Er ist Hereward voll und ganz ergeben. Weitaus ergebener als Gott. Seit Hereward und seine Raufbolde hier sind, hatten Abt Thurstan und ich ein paar heftige Auseinandersetzungen. Was glaubst du wohl, wie es kam, daß ich mit eingeschlagenem Schädel im Weinkeller landete? Und ich fürchte, Guthric hat sich in seinem jugendlichen Ungestüm verleiten lassen, sich ebenso unbeliebt zu machen … Oh, Cædmon, wie kannst du dastehen und grinsen? Was tun wir denn jetzt?«
»Wir verschwinden. Und zwar bevor Morcar aufbricht.«
»Verschwinden? Aber wie? Glaub nicht, ich wolle deine Kriegskunst und deinen Heldenmut in Abrede stellen, aber nicht einmal zu dritt können wir es mit Gorm aufnehmen.«
Triumphal zog Cædmon seine Kräuterernte hervor. »Für Gorm ist gesorgt.«
Guthric trat näher. »Eisenhut!« Er fing an zu lachen. »Oh, armer Gorm.«
Es war nicht besonders schwierig, Gorm das Gift unterzujubeln. Sie wußten längst, daß er alles vertilgte, was die drei Gefangenen von ihren üppigen Rationen zurückgehen ließen. Also verzichteten sie am Mittag des folgenden Tages kurzerhand auf den Großteil ihres Biers, rührten die zerstoßenen Eisenhutblätter in den Krug und harrten der Dinge. »Wird er nichts schmecken?« fragte Bruder Oswald nervös.
Cædmon hob gleichmütig die Schultern. »Möglich, daß er das Bier ein bißchen bitterer als gewöhnlich findet, aber saufen wird er es trotzdem, darauf wette ich.«
»Und was wird mit ihm passieren? Wenn er stirbt, dann …«
»Meine Güte, Bruder Oswald, dieser Kerl hat dich um ein Haar umgebracht! Spar dir dein Mitgefühl für jemanden, der es wert ist.«
»Wem ich mein Mitgefühl zuteil werden lasse, entscheide ich doch immer noch ganz gern selbst, vielen Dank«, entgegnete Oswald spitz. Cædmon wandte den Blick zur Decke. »Nein, sei unbesorgt, er wird nicht sterben. Ihm wird schlecht. Unbeschreiblich elend – er wird kotzen, bis er wünscht, er wäre tot. Und wenn er glaubt, daß es schlimmer nicht mehr werden kann, dann kriegt er Krämpfe. Böse Krämpfe. Und Durchfall. Vielleicht einen Ausschlag, so daß er aussieht wie ein Aussätziger, aber alles vergeht innerhalb von ein, zwei Tagen wieder. Beruhigt?«
Oswald schüttelte seufzend den Kopf und murmelte: »Vergib mir, o Herr, daß ich mich der Sünde der Rachsucht hingebe und diese Vorstellung mich erfreut. Was hat dieses Teufelszeug in unserem Kräutergarten zu suchen?«
»Richtig angewendet, senkt es Fieber«, erklärte Guthric.
Oswald brummte: »Also, da hätte ich doch lieber Fieber …«
Geräusche drangen nur gedämpft durch die massive Tür zum Weinkeller, aber das jämmerliche Stöhnen,
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