Das zweite Königreich
angefahren, daß der Mann furchtsam zurückgewichen war und verdrossen vor sich hinmurmelte, daß Äpfel selten weit vom Stamm fielen.
»Du mußt dich zusammennehmen, Rufus«, mahnte Cædmon. »Und du solltest zu deinem Vater gehen. Dort ist jetzt dein Platz.«
Rufus sah unglücklich auf. »Ja. Du hast recht, in seiner finstersten Stunde sollte ich ihm beistehen. Aber ich will nicht.«
»Tu’s trotzdem«, riet Cædmon.
»Kannst du nicht mitkommen?« fragte Rufus kläglich.
Cædmon schüttelte den Kopf. »Ich kann nur zu ihm gehen, wenn er nach mir schickt. Jetzt verschwinde schon. Leif und ich bleiben bei Eadwig. Ich verspreche dir, er wird nicht allein sein, wenn er aufwacht.«
Rufus seufzte tief. »Na schön.«
Nachdem der Prinz endlich mit hängenden Schultern davongeschlichen war, gestattete Cædmon sich einen Blick zum anderen Ende des Lazarettzeltes. Trotz des großen Durcheinanders hatten die Ärzte soviel Geistesgegenwart und Feingefühl bewiesen, den verwundeten Etienne fitz Osbern möglichst weit entfernt von Eadwig of Helmsby unterzubringen.
Etienne hatte einen dicken Stirnverband, auf dessen Außenseite sich langsam ein dunkelroter Fleck ausbreitete. Er lag bleich und reglos mit geschlossenen Augen da, genau wie Eadwig.
Cædmon wollte zu ihm gehen und sich vergewissern, daß er gut versorgt war, aber Leif legte ihm leicht die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück.
»Tu’s lieber nicht. Er ist wach, hat eben die ganze Zeit zu uns herübergestarrt.«
Cædmon zögerte, dann wandte er Etienne den Rücken zu und fragte Leif: »Weißt du, wie schlimm es ihn erwischt hat?«
Der junge dänische Ritter schüttelte den Kopf. »Ich hab einen der Feldscher sagen hören, er habe den Schildarm gebrochen, und wenn die Kopfwunde nicht bis Tagesanbruch aufhört zu bluten, will er sie nähen. Aber das ist wohl alles.«
Unentschlossen sah Cædmon auf das bleiche Gesicht seines Bruders hinab. Tiefe dunkle Schatten lagen unter den geschlossenen Augen. Cædmon sorgte sich um ihn, sorgte sich darum, wie Eadwig damit fertig werden würde, wenn er seinen Arm verlor. Aber vor allem verspürte er Erleichterung darüber, daß sein Bruder lebte, und fragte sich unwillkürlich, was aus Guillaume fitz Osbern geworden war. Obwohl er ein Feind und Verräter war, würde Etienne um seinen Bruder trauern, wenn er gefallen war, das wußte Cædmon genau. Und wenn Etienne erfuhr, wer seinen Bruder vom Pferd geholt hatte, dann …
Er hatte wirklich keine Ahnung, was dann passieren würde.
Eadwig stöhnte leise und bewegte den Kopf.
»Er wird wach«, sagte Leif erleichtert und nahm die Hand seines Freundes. »Eadwig? Hörst du mich?«
Die Lider schienen leicht zu flattern, aber er zeigte keinerlei Reaktion. »Es wird noch ein Weilchen dauern, bis er wirklich zu sich kommt«, sagte Cædmon leise. »Besser so. Er wird sicher üble Schmerzen haben.« Er ging kurz hinaus zu einem der Proviantzelte und organisierte einen Becher kräftigen burgundischen Rotwein. Als er damit zurückkam, atmete sein Bruder merklich tiefer, und dann und wann zuckte sein Mund. Schließlich begann die unverletzte Hand, rastlos über die rauhe Wolldecke zu streichen, bis Cædmon sie ergriff und seine warmen Finger darum schloß.
»Es ist alles in Ordnung, Eadwig.«
Sein Bruder wandte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. »Ist der Arm … ab?« fragte er leise.
»Nein. Du bist noch in einem Stück. Mach die Augen auf und sieh selbst.«
Zögernd schlug Eadwig die Lider auf und blinzelte.
»Hier, trink das.« Behutsam richtete Cædmon seinen Bruder ein wenig auf, ohne auf dessen schwachen Protest und sein Stöhnen zu achten, und flößte ihm einen Schluck ein. »Komm schon. Du hast Blut verloren und brauchst Wein.«
»Ja. Vielleicht tut es nicht mehr so weh, wenn ich betrunken bin«, erwiderte er keuchend, und Leif und Cædmon tauschten ein erleichtertes Grinsen. Nach einem Moment Pause setzte Cædmon Eadwig den Becher wieder an die Lippen. Als er geleert war, ließ Eadwig den Kopf erschöpft an die Brust seines Bruders sinken.
»Ist der König gefallen? Sagt mir die Wahrheit.«
»Nein. Er hat nur einen Kratzer. Toki Wigotson hat ihm das Leben gerettet.«
»Ein Engländer«, murmelte Eadwig.
»So ist es.«
»Gut. Sagt Toki, ich gebe ihm ein Bier aus, wenn wir nach Hause kommen.« Und damit schlief er wieder ein.
Cædmon bettete ihn vorsichtig zurück auf das rauhe, gräuliche Laken und küßte ihm die Stirn. Dann sah er zu Leif
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