Das zweite Königreich
unsere Sprache so gut beherrschst, Junge?«
»Meine Mutter stammt aus der Normandie.«
Der Mann blieb stehen. »Ist das wahr? Woher?«
»Aus Falaise.«
»Da hol mich doch der Teufel … Warum hast du das nicht eher gesagt?« Cædmon sah ihn verständnislos an. »Wozu?«
»Wozu? Wie ist dein Name, Junge?«
»Cædmon.«
»Cædmon. Willkommen in der schönen Heimat deiner Mutter.« Er klopfte ihm kräftig auf den Rücken. Es war seltsam, seinen Namen von diesem Fremden ausgesprochen zu hören, er betonte ihn genauso eigenartig wie seine Mutter.
»Vielen Dank.«
Der Mann brachte ihn durch die Vorhalle in die große, von Rauch und Hitze erfüllte Küche der Burg. Über einem gewaltigen Feuer hingen zwei Töpfe. Aus einem steinernen Ofen an der Wand holte ein junger Bursche mehrere lange Brotlaibe.
»Louise!« rief Cædmons Begleiter. »Wo steckst du?«
Aus einer angrenzenden Vorratskammer kam eine dicke Frau mit einem sehr roten Gesicht. »Wo soll ich schon sein? Was gibt es denn?« Er legte Cædmon eine Hand auf die Schulter und schob ihn auf die Köchin zu. »Das ist Cædmon aus England, aber seine Mutter stammt aus Falaise. Gib ihm eine Schale anständige Suppe. Ein bißchen Honigkuchen, wenn du hast. Er war die ganze Woche mit diesen angelsächsischen Schweinehirten zusammen eingesperrt.«
»Entschuldigung«, meldete sich Cædmon zu Wort. »Aber sie sind keineSchweinehirten, es sind Soldaten des Earl of Wessex. Tapfere Männer, versteht ihr.«
Der Soldat winkte ab. »Und ich sage, Schweinehirten. Da, Junge, iß.« Die Köchin hatte eine große Schale mit dampfender Suppe auf den Tisch gestellt, der ein wunderbares Aroma von Fisch und Zwiebeln entströmte. Cædmon fiel im Traum nicht ein, weiter für Harolds Housecarls einzustehen und sich damit womöglich um die Suppe zu bringen. Das waren sie nun wirklich nicht wert. Er glitt eilig auf die Sitzbank und begann zu löffeln.
»Hm! Gut.«
Die Köchin brummelte gallig, reichte ihm aber ein großzügiges Stück Brot.
Sie fütterten ihn, bis er glaubte, er müsse jeden Moment platzen. Der Soldat, der sich inzwischen als Henri vorgestellt hatte, setzte sich zu ihm, leistete ihm bei seinem üppigen Frühstück Gesellschaft und wollte wissen, wie es Cædmons Mutter nach England verschlagen habe. Er schien sie aufrichtig zu bedauern.
Cædmon gab bereitwillig Auskunft, meistens mit vollem Mund. Schließlich packte die Köchin Brot, Cidre und eine Kanne mit sehr viel dünnerer Suppe in einen Korb, und Henri brachte Cædmon zu den anderen Gefangenen zurück.
»Was hat so lange gedauert?« fragte Eldred wütend. Er riß Cædmon den Korb aus der Hand, und ein wenig Suppe schwappte ins Stroh. »Paß doch auf, du Schwachkopf!«
»Tut mir leid«, murmelte Cædmon. »Die Köchin hat mich stundenlang warten lassen, sie war mit dem Frühstück für die Gesellschaft in der Halle beschäftigt.« Und er dachte, Gott, verzeih mir die vielen Lügen, die ich in letzter Zeit ausspreche, aber ich habe das Gefühl, hier geht es für mich ums nackte Überleben.
Eldred warf ihm einen finsteren Blick zu und sah dann in den Korb. »Viel bringst du nicht gerade.«
»Nein, ich weiß.« Plötzlich plagte ihn sein Gewissen, weil er gepraßt hatte, während die Männer hier unten sich mit so karger Kost
begnügen mußten. »Heute abend werd’ ich versuchen, der Köchin ein bißchen mehr abzuschwatzen. Ehrenwort.«
Tatsächlich gelang es ihm über die folgenden Tage, die brummelige Köchin für sich zu gewinnen. Wenn er kam, stand immer schon eineSchale mit Eintopf oder ein Teller mit Brot und Käse für ihn bereit, und während er aß, packte sie den Korb für die Männer und fand es von Tag zu Tag schwieriger abzulehnen, wenn Cædmon sie bat, auch einmal ein paar Äpfel hineinzulegen oder ein wenig Speck in den Eintopf zu schneiden. Henri begleitete ihn nicht mehr auf dem Weg zwischen Küche und Verlies, der wachhabende Soldat an der Tür ließ ihn einfach heraus und wieder hinein, wenn er zurückkam.
So überquerte Cædmon an einem regnerischen Frühlingsabend allein den Burghof, als eine Schar von vielleicht zehn Reitern durchs Tor kam. An der Spitze ritt ein junger Edelmann, sein dunkler Schopf war nach normannischer Sitte geschoren. Ihm folgte auf einer hübschen, feingliedrigen Stute ein junges Mädchen. Sie sah ihm so ähnlich, daß es sich nur um seine Schwester handeln konnte. Mitten im Hof hielten sie an. Der junge Mann sprang aus dem Sattel, trat zu ihr, und sie
Weitere Kostenlose Bücher