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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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lagen Tor und Zugbrücke hinter ihm. Der Wind brauste in seinen Ohren, als er im gestreckten Galopp durch das Dorf ritt, er sah Bauern mit vor Staunen geöffneten Mündern vorbeifliegen, aber er wurde nicht langsamer, galoppierte weiter der untergehenden Sonne entgegen, bis das Pferd zu keuchen begann.
    Hinter dem Saum eines dichten Waldes hielt er schließlich an. Jetzt erst nahm er sich Zeit, die Füße in die Steigbügel zu führen, und klopfte dem Schimmel dankbar den Hals.
    »Das hast du wunderbar gemacht. Du bist ziemlich schnell auf deinen kurzen, stämmigen Beinen, was? Aber ich kann nicht glauben, daß Guy de Ponthieus Männer sich einfach die Haare raufen und wehklagen. Vermutlich sind sie schon hinter uns her.«
    Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er tun sollte. Alles, was er wußte, war, daß er in südwestlicher Richtung reiten mußte, um nach Rouen zu William dem Bastard zu kommen. Wie südlich oder wie westlich wußte er nicht. Auch nicht, wie weit es wirklich war. Ein guter Tagesritt, hatte Harold gesagt. Aber das konnte ebensogut geraten sein.
     
    Tatsächlich brauchte Cædmon zwei Nächte und zwei Tage. Dabei hatte er weder sich noch dem Pferd viel Ruhe gegönnt. Er wurde getrieben von der Angst vor seinen Verfolgern. Die Vorstellung, was ihm bevorstand, wenn sie ihn erwischten, löste jedesmal ein heißes Brodeln in seinem Magen aus, wenn er daran dachte. Nur zweimal wagte er, länger anzuhalten und ein paar Stunden zu schlafen, stets im Schutz eines Waldes, ein gutes Stück abseits des Weges. Und wenn er schlief, träumte er von dem schwarzhaarigen Mädchen, sah wieder, wie sie die schmalen, weißen Hände auf die Schultern ihres Bruders legte und aus dem Sattel glitt, wie sie den Kopf neigte und den Sperber küßte. Aber dann schlichen die Ängste sich in seine Träume, und Guy de Ponthieu erschien wie ein Dämon, sein bleiches, feistes Gesicht eine schauerliche,wutverzerrte Fratze, und er schrie: Schießt ihm einen Pfeil ins rechte Bein, macht es so taub und lahm wie das linke, und dann wollen wir sehen, ob er uns noch einmal davonläuft …
    Cædmon wachte jedesmal in kalten Schweiß gebadet auf, stieg auf sein erschöpftes Pferd und trieb es weiter.
    Im Laufe des ersten Tages lernte er, sein Pferd zu beneiden, das einfach den Kopf senken und das junge Frühlingsgras rupfen konnte. Der Hunger wurde so bohrend, daß er schließlich unerträglicher war als die Angst, und Cædmon hielt an einem abgelegenen Gut und bettelte um Essen. Eine Magd gab ihm ein Stückchen steinhartes Brot und einen Kanten angeschimmelten Käse, die sie offenbar den Schweinen hatte bringen wollen. Cædmon fiel heißhungrig darüber her.
    Zweimal war er auf Flüsse gestoßen, die seinen Weg kreuzten, und er mußte stundenlang am Ufer entlangreiten, bis er eine Furt oder Brücke fand. Das Land war flach und dünn besiedelt. Er sah die Dörfer schon von weitem und hatte keine Mühe, sie zu umrunden. Riesige Wälder bedeckten die Ebene, und die dichten Bäume und der meist graue Himmel machten es oft schwer zu entscheiden, wo Südwesten lag. Aber Cædmon hielt nicht an, er ritt Meile um Meile durch Wälder und Felder, die von zahllosen kleinen Wasserläufen durchzogen waren, er fror, er wurde naßgeregnet, und vor allem war er hungrig, aber er gestattete sich nicht zu verzagen. Weil er nur weiter und nicht zurück konnte. Und vielleicht auch, erkannte er während der vielen Stunden, die er nur mit seinen Gedanken beschäftigt im Sattel verbrachte, weil er sich und seinem Vater und der ganzen, verdammten Welt beweisen wollte, daß er kein »Feigling mit einem lahmen Bein« war.
     
    Am Vormittag des zweiten Tages endlich wagte er sich auf die Straße. Seit dem Vorabend war er ihrem Verlauf gefolgt, immer ein gutes Stück zur Rechten. Er hatte sich überlegt, daß eine so gute, breite Straße sicher zu einer großen Stadt führen mußte. Und er betete, die Stadt möge Rouen sein. Als er dann morgens immer noch keine Anzeichen von Verfolgung feststellen konnte, gab er seine Deckung auf, und auf der Straße kam er viel schneller voran.
    Das Gelände war hügeliger geworden. Als die Sonne schon schräg stand, gelangte er nach einer langgezogenen Steigung schließlich über den Kamm einer Anhöhe. Er hielt an und starrte ungläubig auf das Bild, das sich unter ihm erstreckte: Am diesseitigen Ufer eines breiten Flussesdrängten sich Häuser. Eine unermeßliche Zahl von Häusern, so schien es ihm. Sie standen dicht an dicht

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