Das zweite Königreich
war kein normaler Tag.
Sie ritten weiter, und Aliesa wies auf eine schlanke, zartrosa Blütenkerze, die aus einem Bett ausladender Blätter aufragte. »Fingerhut«, sagte sie. »Gut für ein schwaches Herz.«
»Aber tödlich, wenn man es falsch dosiert.«
»Ja.«
»Kennst du dich gut mit Heilpflanzen aus?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht so wie deine Mutter. Ich fürchte, in der Hinsicht werde ich sie nicht ersetzen können. Ich habe auch nicht die Absicht, mich als Hebamme zu versuchen«, stellte sie klar.
Er biß sich auf die Lippen, um nicht zu lachen. »Das hatte ich auch nicht angenommen. Hyld hat viel von Mutter gelernt. Wenn du willst, wird sie dir die Pflanzen in Mutters Kräutergarten zeigen und dir erklären, wozu sie taugen. Wenn Erik zurückkommt und Hyld uns verläßt …« Er brach unsicher ab.
»Sollte ich in der Lage sein, einen Kräutervorrat für den Winter anzulegen und einfache Gebrechen und Krankheiten zu behandeln, weil das in England von der Lady der Halle erwartet wird?«
Er nickte. »Es ist so üblich, ja. Aber wenn du nicht willst, werde ich Irmingard bitten …«
»Wofür hältst du mich, Cædmon?« fragte sie, und er sah sie verblüfft an, als er den scharfen Tonfall hörte. »Glaubst du, ich sei aus irgendeinem Grunde nicht in der Lage, meine Pflichten zu erfüllen? Wenn es üblich ist, werde ich es lernen.«
»Gut«, sagte er zufrieden und dachte, wie hinreißend sie aussah, wenn sie wütend wurde, aber er fand, es sei vermutlich besser, ihr das nicht gerade jetzt zu sagen.
Ihre Stirn glättete sich wieder. »Was denkst du, wollen wir bald umkehren? Ich bin ausgehungert.«
»Einverstanden. Da, siehst du die knorrige Weide da vorn am Ufer?Das ist die Stelle, wo mein teurer Schwager Erik mich angeschossen hat.«
Aliesa ritt bis zur Weide, sah auf den Fluß hinaus und dann auf das Gebüsch neben dem Pfad. Sie atmete tief durch. »Wie furchtbar weit dein Heimweg war.«
Er nickte und lächelte ihr zu. »Mach kein solches Gesicht, dafür ist es zu lange her. Komm, laß uns zusehen, daß wir ein Frühstück kriegen.« Er klang unbeschwert, aber die Erinnerung an das Erlebnis hatte unvermeidlich auch Erinnerungen an Dunstan heraufbeschworen, und das war immer noch schmerzlich.
Wie so oft schienen Aliesas Gedanken in die gleiche Richtung zu gehen, denn sie fragte seufzend: »Was machen wir mit Lucien, Cædmon?«
Er ritt wieder an und entgegnete: »Ich weiß nicht, ob die Frage nicht eher lauten sollte, was wird Lucien mit uns machen. Er ist Sheriff von Norfolk, wußtest du das?«
»Nein.« Die Neuigkeit erschreckte sie offenbar nicht so wie ihn.
»Glaubst du, er wird dir verzeihen, daß du mich geheiratet hast?«
Sie seufzte, und nach einem kurzen Schweigen sagte sie: »Lucien würde mir verzeihen, selbst wenn ich den Satan persönlich heiratete. Aber ich bin keineswegs sicher, daß er mir zuliebe seinen Groll gegen dich begräbt.«
»Nein, da sehe ich auch schwarz. Ich werde schon selbst mit ihm fertig, keine Bange …«
»Ich will nicht, daß ihr euch bekriegt«, unterbrach sie scharf. »Du bist mein Mann, er ist mein Bruder, und ihr beide müßt vergessen, was war.« Er lachte ungläubig auf. » Vergessen ? Nun, ich glaube, das dürfte unmöglich sein. Aber ich bin bereit, Vergangenes vergangen sein zu lassen. Du hast recht, die Dinge haben sich geändert, er ist mein Schwager und mein Nachbar, ganz gleich, ob mir das gefällt, und ich wäre froh, wenn wir ohne Hader leben könnten. Die Frage ist nur, was will Lucien?« »Ich werde hinreiten und ihn fragen«, sagte sie. »Allein.«
»Kommt nicht in Frage …«
»Cædmon, wenn du mich begleitest, wird es nur böses Blut geben. Vergiß nicht, wer seine Frau ist.«
Cædmon raufte sich mit der Linken kurz die Haare. Das war ihm in der Tat einen Moment entfallen. »Aber du kannst unmöglich allein bis nach … Wo leben sie überhaupt?«
»In Fenwick.«
»Das ist ein Tagesritt von Helmsby.«
»Ich werde eine Eskorte mitnehmen und deine Schwester als Begleitung, wenn sie mir den Gefallen tut.«
Cædmon dachte einen Moment darüber nach und schüttelte seufzend den Kopf. »Ich weiß nicht … Die Sache gefällt mir nicht. Es gibt viele Dinge, über die du nicht informiert bist. Lucien stiehlt mein Land und drangsaliert meine Pächter. Seine Leute haben meinen Onkel überfallen und zusammengeschlagen. Wenn ich nicht mit dir hinreite, wird er glauben, ich kneife.«
»Das werde ich schon klarstellen«,
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