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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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nachts verriegelt wurde. Hyld kniff die Augen zu und hielt den Atem an, als könne sie damit verhindern, daß die Tür knarrte. Aber das tat sie nicht. Erik öffnete den rechten Flügel einen Spaltbreit, zog Hyld hinaus und ans südliche Ende des Innenhofs zwischen die Schafställe.
    »Was hast du mit der Tür gemacht?« fragte sie. »Sie knarrt, solange ich denken kann.«
    »Was schon. Ich hab der Köchin ein bißchen Butter abgeschwatzt und sie auf die Scharniere geschmiert, als alle schon schliefen.«
    Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Und wirst du mir verraten, was das zu bedeuten hat? Warum weckst du mich mitten in der Nacht und riskierst, daß wir hier draußen zusammen erwischt werden?«
    »Es ist nicht mitten in der Nacht, sondern kurz vor Tagesanbruch. Ich muß mit dir reden, Hyld, und ich weiß nicht, ob wir morgen noch Gelegenheit haben würden.«
    Plötzlich wurden ihre Hände feucht. »Was ist passiert?«
    »Ich muß von hier fort. Ich kann nicht länger warten.«
    »Aber, Erik …«
    »Ja, ich kenne all deine Einwände. Ich gehe trotzdem. Morgen.«
    »Aber … warum?«
    »Es würde bis lange nach Sonnenaufgang dauern, um dir das zu erklären. Die entscheidende Frage ist eine ganz andere, Hyld. Wirst du mit mir kommen, ja oder nein?«
    Sie antwortete nicht. Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Es war fast, als wäre er schon fort, als vermißte sie ihn jetzt schon.
    »Bitte«, drängte er leise.
    Sie schluckte entschlossen den dicken Kloß hinunter, den sie in der Kehle spürte. »Ich kann nicht. Ich kann meiner Familie das nicht antun.« Es klang erstickt, nicht so entschieden, wie sie beabsichtigt hatte. »Aber was du mir antust, ist nicht von so großer Bedeutung, oder?« fragte er hitzig.
    » Ich bin nicht diejenige, die fortgeht und dich zurückläßt«, entgegnete sie. Dann nahm sie seine Hand und drückte sie an ihr Gesicht. Die Hand roch schwach nach Gras und Sonne. Hyld hatte ihn oft ausgelacht, weil er sich ständig die Hände wusch und bei jeder Gelegenheit im Fluß badete. Sie hatte schon früher vom übertriebenen Reinlichkeitssinn der Wikinger gehört, und sie fand ihn zu komisch. Aber er hatte unbestreitbar seine Vorzüge.
    Sie drückte die Lippen in seine schwielige Handfläche. »Tu’s nicht. Bitte. Sie werden dich finden und zurückbringen und dir wer weiß was antun. Das kann ich nicht aushalten.«
    Er machte sich los. »Ich glaube nicht, daß das passieren wird. So oder so, ich muß das Risiko eingehen. Ich habe viel zu lange gezaudert.« »Was heißt das? Wovon redest du?«
    »Von einem Eid, der mich bindet«, sagte er leise.
    Hyld stockte der Atem. Das änderte natürlich alles. Ein Eid war eine ernste, oft genug tückische Angelegenheit. »An wen?«
    Er antwortete nicht.
    Plötzlich ging ihr ein Licht auf, und sie spähte argwöhnisch in seine Richtung. Sie konnte nur seine Silhouette erkennen und das Weiße seiner Augen. »Es hat irgend etwas mit dem zu tun, was Vater und Dunstan vorhin erzählt haben, oder? Du hast sie belauscht. Du warst nicht zufällig in der Nähe.«
    Vermutlich war es besser, ihr nicht zu verraten, daß er auch ihre Eltern belauscht hatte, an diesem Abend und in vielen Nächten zuvor, daß er einen Spalt in der hölzernen Trennwand zwischen Halle und Schlafkammer entdeckt hatte, der zu schmal war, um hindurchzuspähen, aber breit genug, um das Ohr daran zu pressen und zumindest alles, was Ælfric mit seiner volltönenden, tragenden Stimme sagte, zu verstehen. Und er hatte sie weiß Gott nicht nur reden hören. Manchmal, wenn sein Los ihm besonders bitter erschien, heiterte er sich mit dem Gedanken auf, daß er vermutlich der einzige Mann in Helmsby war, der genau wußte, was der Thane und seine Lady nachts so trieben, was für ausgefallene Wünsche die sonst stets so ruhig und beherrscht wirkende Marie de Falaise hinter geschlossenen Bettvorhängen äußerte …
    »Du hast recht.«
    »Erklär es mir, Erik. An wen bist du durch Eid gebunden? Du kannst nicht von mir verlangen, daß ich eine so schwerwiegende Entscheidung treffe, ohne daß du mir sagst, worauf ich mich einlasse.«
    »Na schön«, räumte er zögernd ein. »Komm her, Hyld. Setz dich. Es ist eine komplizierte Geschichte.« Sie setzten sich mit dem Rücken an die Stallwand, dicht nebeneinander, und Erik nahm ihre Hand und wählte seine Worte sorgsam. »Ich bin nicht sicher, daß dir gefällt, was ich dir jetzt sage, aber das ist vermutlich nur ein Grund mehr, warum du es erfahren

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