Das zweite Königreich
leises Stimmengewirr drangen aus dem Hauptraum dahinter.
»Denkst du, Tostig ist in der Halle?« fragte Hyld leise.
»Wer kommt da?« fragte eine junge, barsche Stimme.
Erik fuhr leicht zusammen; er hatte nicht damit gerechnet, die Vorhalle bewacht zu finden. »Ich habe eine Nachricht für Athelstan of Helmsby. Mein Name ist …«
»Ich weiß, wer du bist.« Der Wachsoldat trat aus dem Schatten in den Lichtkegel, der aus der Halle strömte. »Und für wen deine Nachricht auch bestimmt sein mag, er wird sie nicht bekommen.«
Erik starrte ihn wortlos an. Er hatte es einfach nicht für möglich gehalten, daß sein schlimmster Alptraum sich erfüllen könnte.
Hyld machte einen Schritt nach vorn. »Dunstan …« Ihr Bruder wirkte eigentümlich fremd in Lederharnisch und Helm.
Dunstan pfiff leise durch die Zähne, und zwei weitere Männer traten aus der Haupthalle in den Vorraum. Im selben Moment faßte Erik Hyld am Handgelenk und zog sie zur Tür, aber drei kamen aus der Küche, schnitten ihnen instinktiv den Weg ab und packten Erik.
»Was gibt es denn, Dunstan?« fragte einer.
Dunstan trat gemächlich auf Erik zu. Er würdigte seine Schwester keines Blickes. Zu den Gefährten sagte er: »Madulf, bleib hier und übernimm meine Wache, sei so gut.«
»Ja, sicher, Dunstan.«
»Und die anderen kommen mit mir.«
Sie tun willig, was er sagt, dachte Hyld. Er ist ein geborener Anführer. Und sie ertappte sich dabei, daß sie ein bißchen stolz auf ihren Bruder war. Alte Gewohnheiten ließen sich eben doch schlecht ablegen.
»Dunstan …«, sagte sie wieder, und er blickte sie immer noch nicht an. Statt dessen gab er seinen Kameraden einen Wink. »Fesselt ihn. Bringtsie hinüber in die Schmiede. Da ist jetzt todsicher keiner. Und seht euch vor, er ist schlüpfrig wie ein Aal und kräftiger, als er aussieht.« Einer zog eine Lederschnur aus seinem Beutel und band Erik die Hände auf den Rücken. Dann stießen sie ihn hinaus in den mondbeschienenen, menschenleeren Innenhof und weiter zu einer abgelegenen, kleinen Holzbaracke mit einem jetzt kalten Schmiedeofen. Flankiert von zwei Wachen folgte Hyld ihnen, und sie hatte das eigentümliche Gefühl, daß ihre Füße den Boden nicht berührten.
Einer brachte eine Fackel mit und steckte sie in eine Halterung an der rohen Holzwand der kleinen Schmiede. Ein anderer zog die Tür zu. Dunstan stand neben der Feuerstelle und starrte Erik unverwandt an. »Ich habe jeden Tag gebetet, daß wir uns wiedersehen.«
Erik verzog spöttisch den Mund und entgegnete nichts.
»Nehmt ihm das Schwert ab, verflucht, wo habt ihr eure Gedanken!« knurrte Dunstan.
Seine Gefährten beeilten sich, Eriks Schwertgürtel zu lösen.
»Um Himmels willen, Dunstan, willst du mich nicht einmal ansehen?« fragte Hyld leise.
Ohne ihre Bitte zu erfüllen fuhr er herum und schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Damit hatte Hyld nicht gerechnet. Blinzelnd taumelte sie zur Seite und schlug hart auf den Boden.
Erik machte eine Bewegung in ihre Richtung, aber sofort packten ihn zwei der jungen Soldaten und hielten ihn zurück.
Dunstan beobachtete ihn mit einem mokanten Lächeln. »Dieser Mann ist ein entflohener Sklave meines Vaters«, klärte er seine Kameraden auf. »Und darüber hinaus offenbar ein Spion. Für wen, werden wir schon noch herausfinden.«
Erik ließ ihn nicht aus den Augen. »Wieso bist du nicht an der Seite deines Herrn bei den Verhandlungen in Oxford, Dunstan?«
Dunstans Miene verdüsterte sich für einen Augenblick. Er antwortete nicht, aber Erik schloß, daß Harold Godwinson ihm nicht die Beachtung geschenkt hatte, die Dunstan für angemessen hielt.
»Ist Vater mit ihm gegangen?« fragte Hyld.
Dunstan tat, als habe er sie nicht gehört. Er trat auf Erik zu und holte seinen Dolch aus der Scheide am Gürtel. »Ich hätte dich gleich am ersten Tag töten sollen, nachdem wir dich geschnappt haben.«
»Nun, du hast dich redlich bemüht«, sagte Erik tröstend. »Mehr kann man von niemandem verlangen.«
»Du hast recht. Und heute werde ich meine Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen.«
Hyld öffnete den Mund, aber sie brachte keinen Ton heraus.
»Soll das Mädchen zusehen, Dunstan?« fragte einer der jungen Soldaten mit verhohlenem Vorwurf.
Er schüttelte den Kopf. »Das hier kann so lange dauern, sie würde sich zu Tode langweilen. Schaff seine Hure hinaus.«
»Sie ist meine Frau«, erklärte Erik mit Nachdruck, und Dunstan stieß ihm das Knie in den
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