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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Page brachte ein Tablett mit heißem Würzwein und kleinen Ingwerküchlein. Sie langten begierig zu, auch wenn Cædmon Wulfnoth zuraunte: »Gut, daß das Fressen morgen ein Ende hat, sonst wäre ich bald so feist wie Etiennes Vater.«
    »Kennt ihr noch mehr Rätsel?« fragte William, der jüngste der Söhne des Herzogs, der von allen Rufus genannt wurde. »Rufus« sei lateinisch und bedeute »der Rote«, hatte Wulfnoth Cædmon erklärt. Der junge William trug den Beinamen wegen seiner auffallend geröteten Wangen. »Habt ihr nicht noch eins?«
    »Doch«, antworteten die beiden Engländer wie aus einem Munde und sahen sich grinsend an.
    Wulfnoth nickte Cædmon auffordernd zu. »Stell du ihnen noch eines. Mir fallen im Augenblick nur die einfachen ein.«
    »Also schön.« Cædmon überlegte einen Moment, dann nahm er die Unterlippe zwischen die Zähne, warf einen abschätzenden Blick in die Runde und sagte schließlich: »Hört gut zu. Das ist eine wirklich harte Nuß: Prächtig hängt dies Ding beim Schenkel des Mannes, gleich unter seinem Gewande. Es ist steif und hart, und wenn der Mann sein Gewand anhebt, will er das Loch mit dem Haupt seines Gehänges grüßen, jene wundersam passende Öffnung, die es so oft zuvor schon füllte. Was ist dieses Ding?«
    Alle starrten ihn sprachlos an, manche entsetzt, manche beschämt, Etienne wider Willen belustigt.
    Lucien de Ponthieu erhob sich unvermittelt. »Was fällt dir ein! Es sind Damen in dieser Gesellschaft, und wir sind hier nicht in einem gottverdammten englischen Schweinestall!«
    Cædmon machte große Unschuldsaugen. »Aber Lucien, was hast du denn nur? Was ist mit euch? Strengt eure Köpfe an, so schwierig ist es nun auch wieder nicht.«
    Lucien krallte die Linke in Cædmons Gewand und ballte die Rechte. »Jetzt ist es genug …«
    Cædmon sah ihm in die Augen. »Vielleicht solltest lieber du dich besinnen, wo du dich befindest. Nimm deine Hände von mir, sei so gut.«
    »Es ist ein Schlüssel!« verkündete der neunjährige Rufus, der so angestrengt nachgedacht hatte, daß er weder das peinliche Schweigen noch den drohenden Streit wahrgenommen hatte.
    Cædmon lächelte breit. »So ist es, Rufus. Ein Schlüssel.« Er sah mit gerunzelter Stirn in die Runde. »Oder hat jemand etwas anderes vermutet?«
    Alle außer Lucien brachen in schallendes Gelächter aus, und der letzte Rest Anspannung verflog.
    »Ich glaube, ich werde euch lieber ein Gedicht vorlesen, ehe sich hier irgendwer beim Rätselraten eine blutige Nase holt«, schlug Aliesa vor, die einzige der jungen Hofdamen, die Cædmons Blick tapfer erwidert hatte, als er sein tückisches Rätsel stellte. Mit einem liebevollen und gleichzeitig bittenden Lächeln besänftigte sie ihren Zwillingsbruder. »Würdest du mir das Buch herüberreichen, Lucien?«
    Er brachte ihr den schweren, ledergebundenen Band. Aliesa legte ihn vor sich auf den Tisch, andächtig und voller Ehrfurcht schlug sie ihn auf und blätterte die gelben Pergamentseiten behutsam um. Das Buch gehörte Herzogin Matilda, die es ihr geliehen hatte, um sich und die anderen jungen Leute am Hof während der Festtage zu unterhalten. Es war eine Kostbarkeit, und Aliesa lebte in ständiger Angst, daß irgendwer Wein darüber verschütten oder es mit schmutzigen Händen anfassen könnte.
    »Was wollt ihr hören? Vom Untergang Trojas? Oder von Roland?« »Roland! Roland!« riefen die jungen Normannen begeistert aus. Sie bekamen einfach nie genug von den Ruhmestaten des Paladins Karls des Großen. Sie nahmen ihn sich zum Vorbild, verehrten ihn als großen Helden ihres Volkes, was, so hatte Wulfnoth Cædmon gegenüberangemerkt, eigentlich doch ziemlich albern war, denn Karl der Große und sein treuer Roland waren Franken gewesen und hatten zu einer Zeit gelebt, da die Vorfahren aller Normannen noch wilde Nordmänner waren, die ihrem einäugigen Gott Odin Pferdeopfer darbrachten …
    Aliesa fand die richtige Stelle und begann zu lesen. Anfangs lauschte Cædmon nur dem wunderbar melodischen Klang ihrer Stimme. Die Geschichte kannte er zur Genüge – auch wenn er sie noch nie in Versen gehört hatte –, und er hielt keine besonders großen Stücke auf Roland. Aus purem Trotz lehnte er ihn ab, nur aus dem einen Grund, weil Jehan de Bellême ihnen den fränkischen Helden wenigstens einmal am Tag als leuchtendes, für sie unerreichbares Beispiel hinstellte. Cædmon wünschte sich, Aliesa könne einmal die Geschichten und Verserzählungen hören, die in englischen

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