Das zweite Königreich
Hallen vorgetragen wurden, von Oswald und Edmund, den Märtyrerkönigen, von Wiland dem Schmied, von Siegfried und dem Drachen und von Beowulf. Aber das würde wohl niemals geschehen …
Er seufzte vernehmlich, und als er Wulfnoths eindringlichen Blick spürte, riß er sich zusammen und konzentrierte sich auf die Geschichte dieses tragischen Helden, der, verraten von seinem eigenen Stiefvater, bei der Überquerung eines Gebirgspasses vom Heer abgeschnitten wurde. Zu stolz, das Horn zu blasen und seinen Kaiser so zu Hilfe zu holen, starb er völlig unnötig, irrtümlich erschlagen von der Hand seines treuen Freundes, des vom Feind geblendeten Olivier. Gerade als das Heer unter der Führung des mächtigen Karl kehrtmachte, um die gemeuchelte Elite seiner Ritterschaft zu rächen, brach Aliesa plötzlich ab.
Cædmon hob verwundert den Kopf und folgte dann hastig dem Beispiel seiner Gefährten, sprang auf und verneigte sich tief.
Herzog William stand mit verschränkten Armen vor einer der Säulen. Das Feuer warf unruhige Schatten auf sein Gesicht, das völlig unbewegt war bis auf einen Muskel in seiner rechten Wange, der rhythmisch zuckte. Seine schwarzen Augen loderten. Cædmons Herz sank, und er hatte nicht übel Lust, es den jüngeren Söhnen des Herzogs gleichzutun, zurückzuweichen und sich so klein wie möglich zu machen. Was auch immer geschehen sein mochte, er hoffte inständig, daß es nichts mit ihm zu tun hatte.
Prompt fiel Williams Blick auf ihn. So muß die Maus sich fühlen, wennsie sich der Katze gegenübersieht, dachte Cædmon flüchtig, schluckte und rang darum, nicht die Augen niederzuschlagen. Dann glitt der Blick des Herzogs weiter zu Wulfnoth.
»Ein Bote aus England ist eingetroffen«, sagte er, seine Stimme vollkommen ausdruckslos. »Ich bedaure, euch mitteilen zu müssen, daß mein Cousin, König Edward, gestern morgen kurz vor Tagesanbruch aus dieser Welt geschieden ist.«
Cædmon bekreuzigte sich und trat instinktiv einen Schritt näher zu Wulfnoth, der den Kopf gesenkt hatte, ebenfalls das Kreuzzeichen machte und murmelte: »Ruhe in Frieden, Schwager Edward.«
War die Nachricht auch lang erwartet, war sie dennoch ein Schock für die beiden Engländer. Der fromme Edward war so lange König gewesen, beinah ein Vierteljahrhundert, daß sie sich ein England ohne ihn kaum vorstellen konnten.
»Ich teile Euren Schmerz«, fuhr Herzog William in dem gleichen bedächtigen Tonfall fort. »England verliert einen guten König. Aber seid guten Mutes. Es hat schon einen neuen. Gerade jetzt, da wir hier stehen und plaudern, setzt der Erzbischof von York ihm in der neuen Klosterkirche von Westminster die Krone aufs Haupt.«
Cædmon hatte plötzlich das Gefühl, als habe er einen heißen Wackerstein im Bauch.
William lächelte schwach. »Ich denke, ich muß Euch gratulieren, Wulfnoth Godwinson.«
»Harold …«, brachte Wulfnoth tonlos hervor.
Der Herzog nickte. »Besteigt heute als der zweite dieses Namens den englischen Thron.« Er ließ die Arme sinken, und seine großen Hände ballten sich zu mächtigen Fäusten, als er einen Schritt näher auf sie zu trat. »Obwohl er geschworen hat, meinen Anspruch auf eben diesen Thron zu unterstützen. Obwohl er in meinen Dienst getreten ist.« Er unterbrach sich einen Augenblick, um sich wieder zu fassen. »Armes England. Ein Eidbrecher, Lügner und Verräter ist dein neuer König. Doch ich höre ihn schon sagen, daß er es nicht verhindern konnte, denn, so berichtet mein verläßlicher Bote, das Witenagemot , euer altehrwürdiger, angelsächsischer Kronrat, habe ihn zum König gewählt. Nachdem der sterbende König ihn zu seinem Nachfolger bestimmt habe. Was, denkt Ihr, Wulfnoth, wollen wir ihm als Krönungsgeschenk schicken? Euren Kopf vielleicht?«
Wulfnoth rührte sich nicht und sagte kein Wort. Cædmon hingegenkonnte sich nicht so meisterlich beherrschen. Seine Furcht machte ihn kopflos. »Monseigneur, bitte, Wulfnoth kann doch nichts …«
»Euer Vater hat ebenfalls für Harold gestimmt, Cædmon of Helmsby!« donnerte William.
Cædmon fuhr leicht zusammen. »Aber mein Vater gehört nicht zum Witenagemot …«
»Ihr seid nicht auf dem laufenden über die politischen Veränderungen in England, mein junger Freund. Euer Vater ist ein einflußreicher Mann geworden.« Ehe Cædmon diese Neuigkeit noch richtig aufnehmen konnte, fuhr der Herzog zu der Wache am Eingang der Halle herum und befahl: »Sperrt sie ein! Bringt dieses Verräterpack in irgendein
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