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Das zweite Vaterland

Das zweite Vaterland

Titel: Das zweite Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Norden dagegen zeigte das Plateau eine Ausdehnung, die nicht abzuschätzen war, weil dessen Grenze verdeckt lag. Deshalb ließ sich nicht beurtheilen, ob es auch dort mit einer steilen, nach dem Meere zu gewendeten Wand ausliefe, und ob man bis zu seinem Rande vordringen müsse, um den Meereshorizont sehen zu können.
    Wie enttäuschend wirkte dieses Bild auf die Armen, die hier ein fruchtbares, grünendes, bewaldetes Land zu finden gehofft hatten! Ueberall dieselbe trostlose Unfruchtbarkeit wie an der Schildkrötenbucht, die, wenn auch ebenso unfruchtbar, doch minder traurig aussah, da sie hier und da mit Moos bewachsene Stellen aufwies und an ihrem Rande wenigstens einige Seepflanzen vorkamen. Nach Sonnenauf-und -untergang zu spähte man vergeblich nach einem Festlande oder einer Insel… alles deutete hier auf ein vereinzelt liegendes Eiland hin.
    Daß das Meer im Norden nicht sichtbar war, lag an der mehrere Lieues betragenden Ausdehnung des Plateaus. Diese Strecke mußte jedenfalls noch überwunden werden, um sich über die Größe und Gestaltung des ganzen Eilandes zu vergewissern.
    Gegenüber diesem Schwinden ihrer letzten Hoffnung sprach jetzt keiner auch nur ein einziges Wort. Da die schreckliche Einöde nicht die geringsten Hilfsquellen versprach, blieb kaum etwas anderes übrig, als wieder nach dem Hohlweg umzukehren, den bisher bewohnten Strand mit der Grotte aufzusuchen und sich in dieser für die langen Wintermonate so gut wie möglich in der Erwartung einzurichten, daß doch einmal noch Hilfe von außen kommen werde.
    Es war jetzt um die fünfte Stunde, und da es bald zu dunkeln drohte, war keine Zeit mehr zu verlieren. Ging der Abstieg voraussichtlich auch schneller von statten, als der Aufstieg, so mußte der Weg in der Finsterniß jedenfalls mehr Hindernisse bieten.
    Da nun der nördliche Theil des Plateaus noch zu besichtigen war, entstand die Frage, ob das wohl geschehen solle, so lange es heute noch Tag war, oder sollte man sich gar zu einer Uebernachtung zwischen den auf dem Plateau verstreut liegenden Felsblöcken entschließen? Das zweite erschien nicht rathsam, denn wo wäre hier bei einem Umschlag des Wetters Schutz zu finden gewesen? Die Vorsicht verlangte eine sofortige Rückkehr.
    Da trat Fritz mit einem vermittelnden Vorschlage hervor.
    »Meine liebste Jenny, sagte er, Franz mag Dich mit Doll, Frau Wolston und dem Kleinen nach der Grotte zurückgeleiten. Ihr könnt die Nacht hier nicht zubringen. Der Kapitän Gould, John Block und ich, wir werden allein zurückbleiben und morgen, sobald es hell wird, die Besichtigung vollenden.«
    Jenny antwortete zunächst nicht, während Suzan und Doll einen fragenden Blick auf sie richteten.
    – Fritz hat mit seinem Vorschlage völlig recht, erklärte Franz, und was hätten wir übrigens zu erwarten, wenn wir alle hier verweilten?«
    Jenny schwieg noch immer. Ihre Blicke schweiften über das endlose Meer an drei Vierteln des Horizontes. Vielleicht spähte sie nach einem Schiffe aus, dessen Lichter draußen auf dem Meere aufleuchten könnten…
    Schon versank die Sonne schnell hinter den Wolken, die der Wind von Norden her zusammentrieb, und es bedurfte mindestens eines zweistündigen Marsches, inmitten tiefer Finsterniß, die Schildkrötenbucht zu erreichen.
    Noch einmal nahm Fritz das Wort.
    »Jenny ich bitte Dich… gehe!… Der morgende Tag wird für unsere Nachforschung ausreichen. Gegen Abend sind wir jedenfalls wieder bei Euch. Haben wir dann Ursache, hierher zurückzukehren, so wird es ohne Zögern geschehen.«
    Jenny blickte zum letztenmale nach allen Seiten hinaus. Schon hatten sich alle zum Aufbrechen bereit erhoben. Der getreue Albatros flatterte von Felsblock zu Felsblock, während andere Vögel, wie Möven, Seeschwalben und Trauerenten, in den Vertiefungen des Steilufers kreischend ihr Nest aufsuchten.
    Die junge Frau erkannte, daß sie dem Rathe ihres Gatten folgen müsse.
    »Wir wollen gehen, erklärte sie, wenn auch ungern.
    – Also vorwärts!« mahnte Franz.
    Da sprang plötzlich der Steuermann mit einem Satz auf, krümmte die Hand wie zu einem Schalltrichter zusammen und horchte gespannt nach Norden hinaus.
    Stark gedämpft durch eine weite Entfernung war ein kurzer Donner zu hören.
    »Hurrah… ein Kanonenschuß!« rief John Block.
Sechsundzwanzigstes Capitel.
Keiner will von der Stelle weichen. – Die Nacht auf dem Plateau. – Auf dem Wege nach Norden. – Die Fahnenstange. – Die britischen Farben. – Der Nebelschleier. –

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