Das zweite Vaterland
Muschelbank und an der Flußmündung Anker werfen, wo sich noch die Ueberreste des ersten Lagers vorfanden, und alle schickten sich bereits an, ans Land zu gehen. Da rief Ernst erschreckt:
»Ein Wilder!… Ein Wilder!«
In der That bewegte sich ein Canot, augenscheinlich bestrebt, von der Pinasse aus unbemerkt zu bleiben, im Westen der Bucht zwischen den bewaldeten Holmen hin.
Bisher hatte noch nichts darauf hingedeutet, daß die Neue Schweiz bewohnt sein könnte. Aus Vorsorge gegen einen etwaigen Angriff, machte die »Elisabeth« »klar zum Gefecht«. ihre kurzen Kanonen wurden geladen und die Gewehre schußbereit gehalten. Als der vermeintliche Wilde sich aber einmal um mehrere Kabellängen genähert hatte, rief Jack:
»Das ist ja Fritz… unser Fritz!«
Dieser war es in der That. Er saß in seinem Kajak allein. Da er die Pinasse, der er hier zu begegnen ja nicht vermuthen konnte, aus größerer Entfernung nicht gleich erkannte, war er nur vorsichtig weiter gefahren und hatte sich überdies Gesicht und Hände geschwärzt.
Als er dann auf die Pinasse gekommen war und seine Mutter und seine Brüder – nicht ohne auf deren Wangen etwas abzufärben – freudig begrüßt hatte, nahm er seinen Vater etwas zur Seite.
»Es ist mir gelungen! flüsterte er ihm zu.
– Was?… Befindet sich die Engländerin bei dem Rauchenden Felsen?
– Ja, sie ist da… und zwar jetzt auf einer Insel der Perlenbucht, antwortete Fritz. Ich hatte Euch zuerst für Wilde gehalten und wollte mich keiner Gefahr aussetzen…«
Ohne seiner Gattin und seinen Kindern ein Wort zu sagen, steuerte Zermatt die Pinasse jetzt nach der ihm von Fritz bezeichneten Insel im Westen der Bucht. Näher herangekommen, sah man darauf einen Palmenhain, der fast bis ans Ufer reichte, und darin eine Hütte nach Art der Hottentottenwohnungen.
Alle gingen aus Land. Nachdem Fritz hier einen Pistolenschuß in die Luft abgegeben hatte, gewahrten die Ankömmlinge einen jungen Mann, der von einem Baume,. auf dem er sich versteckt gehalten hatte, sehr gewandt herunterkletterte.
Das vorliegende Geheimniß wurde bald enthüllt. Dieses menschliche Wesen – das erste, dem die Schiffbrüchigen vom »Landlord« seit zehn Jahren begegneten – war kein junger Mann, sondern ein junges Mädchen von höchstens zwanzig Jahren, das die Kleidung eines Leichtmatrosen trug. Jenny Montrose war es, die junge Engländerin vom Rauchenden Felsen.
Frau Zermatt, Ernst, Jack und Franz erfuhren nun, unter welchen Umständen Fritz die traurige Lage dieser Unglücklichen auf einer vulcanischen Insel außerhalb der Perlenbucht kennen gelernt, auch daß er mit einigen Zeilen geantwortet hatte, die das junge Mädchen allerdings nicht zu Gesichte bekam, da der Albatros nach dem Rauchenden Felsen nicht zurückgekehrt war.
Wie sollen wir den Empfang schildern, der jetzt Jenny Montrose zu theil wurde, und die Zärtlichkeit, mit der Frau Zermatt sie ans Herz drückte? Jenny sollte ihre Geschichte später erzählen; die der Neuen Schweiz und der Schiffbrüchigen vom »Landlord« war ihr schon durch Fritz bekannt geworden.
Die Pinasse verließ nun mit der ganzen, um die junge Engländerin vermehrten Familie sofort die Perlenbucht. Man sprach dann einmal englisch und einmal deutsch, um sich möglichst zu verständigen. Wie viele Beweise aufrichtiger Zuneigung wurden schon auf dieser Rückfahrt der Geretteten zu theil! Jenny hatte hier ja einen Vater, eine Mutter und mehrere Brüder gefunden. Eine Tochter war es für Zermatt und seine Gattin, eine Schwester für Fritz, Ernst, Jack und Franz, die sie jetzt ihrer geliebten Wohnstätte in Felsenheim zuführten.
Selbstverständlich trug die »Elisabeth« auch die wenigen Geräthe, die sich Jenny selbst angefertigt, und die der Kajak von dem Rauchenden Felsen her mitgebracht hatte. Es war ja zu natürlich, daß die arme Verlassene besonderen Werth auf diese Gegenstände legte, die für sie schmerzliche und doch theuere Andenken bildeten.
Auch von zwei lebenden Wesen, zwei getreuen Begleitern, wollte sich das junge Mädchen auf keinen Fall trennen – von einem zum Fischfange abgerichteten Cormoran und einem gezähmten Schakal, der sich mit dem Jacks gewiß gut vertragen würde.
Von der Abfahrt an wurde die »Elisabeth« durch eine frische Brise begünstigt, die alle ihre Segel zu benützen erlaubte. Die Witterung erschien so beständig, daß der ältere Zermatt dem Verlangen nicht widerstehen konnte, nach Umschiffung des Caps der Getäuschten
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