Das zweite Vaterland
sich nicht wohl an Bord eines zum Truppentransport bestimmten Fahrzeugs einschiffen konnte, vertraute sie ihr Vater, der ihr noch eine Dienerin mitgab, einem seiner Freunde, dem Kapitän Greenfield an, der den »Dorcas« befehligte. Dieses Schiff segelte einige Tage vor dem ab, das den Oberst heimführen sollte.
Seine Fahrt gestaltete sich schon von Anfang an recht schlimm. Kaum über den Golf von Bengalen hinausgekommen, gerieth es in Stürme, die mit ganz ungewöhnlicher Wuth auftraten; ferner wurde es von einer französischen Fregatte verfolgt, und diese zwang den »Dorcas«, im Hafen von Batavia Schutz zu suchen.
Als der Feind diese Meeresgegend verlassen hatte, ging der »Dorcas« wieder unter Segel und schlug den Curs nach dem Cap der Guten Hoffnung ein. Dabei wurde seine Fahrt aber durch rauhes Wetter und grobe See außerordentlich gestört und ungünstige Winde hielten ihn lange Zeit zurück. Schließlich wurde der »Dorcas« sogar durch einen starken Südweststurm gänzlich aus seinem Curs verschlagen. Eine ganze Woche hindurch konnte der Kapitän kein Besteck machen (d. h. bestimmen, an welcher Stelle das Schiff sich befand). Er hätte also nicht anzugeben vermocht, nach welchem Theile des Indischen Oceans sein Schiff getrieben worden war, als es in der Nacht plötzlich gegen eine Klippe stieß.
In geringer Entfernung zeigte sich eine unbekannte Küste und sofort sprang die Mannschaft in die große Schaluppe, um dahin zu gelangen. Jenny Montrose, ihre Dienerin und einige Passagiere nahmen im zweiten Boote Platz. Das Schiff begann schon zu bersten, es galt also, schnell davon fortzukommen.
Eine halbe Stunde später kenterte das zweite Boot unter einer furchtbaren Woge, während das erste in der stark dunstigen Luft verschwunden war.
.Als Jenny, die ohnmächtig geworden war, wieder zum Bewußtsein kam, sah sie sich auf einem Strande, wohin die Wellen sie geworfen hatten, und anscheinend als einzige Ueberlebende aus dem Schiffbruch des »Dorcas«.
Wie viel Zeit seit dem Untergange des Bootes verstrichen war, hätte das junge Mädchen unmöglich sagen können. Es erschien als ein wahres Wunder, daß sie noch Kraft genug fand, sich nach einer naheliegenden Höhle zu schleppen, wo sie einige Eier verzehrte und dann vor Erschöpfung einschlummerte.
Nach langem Schlafe erhob sie sich endlich wieder. Jetzt trocknete sie an der Sonne zuerst die Mannskleidung, die sie im Augenblicke des Schiffsunfalles angelegt hatte, um in ihrer Bewegung weniger behindert zu sein. In einer Tasche hatte sie auch einen Feuerstahl gefunden, der es ihr ermöglichte, dürre Blätter und dergleichen in Brand zu setzen.
Bei einem Gange längs des Inselstrandes konnte Jenny von ihren früheren Reisegefährten niemand entdecken. Nur Schiffstrümmer lagen verstreut umher… einige Holzstücke, die sie zur Unterhaltung ihres Feuers benützte.
Das junge Mädchen erfreute sich trotz ihrer mißlichen Lage einer solchen körperlichen und seelischen Energie – wohl infolge ihrer fast männlichen Erziehung – daß sie auch jetzt keineswegs verzweifelte. Sofort ging sie an die Einrichtung der Höhle. Einige Nägel, die sie aus Trümmern des »Dorcas« löste, bildeten zunächst freilich ihre einzigen Werkzeuge. Mit den Händen sehr geschickt und erfindungsreichen Geistes, gelang es ihr aber doch, damit die allernothwendigsten Gegenstände anzufertigen. So stellte sie sich einen Bogen her und fertigte sich einige Pfeile, um Haar-und Federwild zu erlegen, das auf dieser Küste sehr reichlich vorhanden war, und damit ihre tägliche Nahrung zu sichern. Sie fing sogar einige Thiere, die sich zähmen ließen, und zwar einen Schakal und einen Cormoran, welche sich bald gewöhnten, sie zu begleiten.
Inmitten der kleinen Insel, auf die das Meer die junge Schiffbrüchige geworfen hatte, erhob sich ein vulcanischer Berg. aus dessen Krater Rauch und Flammen emporstiegen. Als Jenny bis nahe an seinen, etwa hundert Toisen über das Meer aufragenden Gipfel hinausgegangen war, hatte sie am Horizonte kein weiteres Land sehen können.
Der ungefähr zwei Lieues im Umfange messende Rauchende Fels zeigte nur an der Ostseite ein enges Thal, durch das sich ein kleiner Bach hinschlängelte. Gegen verheerende Winde geschützte Bäume verschiedener Art verhüllten es mit ihren dichtbelaubten Kronen. Auf einem hierunter befindlichen Mango-(Leuchter-)Baum richtete sich Jenny ein dürftige Wohnung ein, ganz wie es die Zermatt’sche Familie mit ihrer Wohnstätte
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