Das zweite Vaterland
niederlegte. Mit Tagesanbruch wurden dann die wenigen Gegenstände, von denen Jenny sich nicht trennen wollte und auch ihr Schakal und ihr Cormoran, im Kajak untergebracht.
Ernst.
Das junge Mädchen, das jetzt wieder Männerkleidung trug, nahm auf dem hinteren Sitze des leichten Fahrzeuges Platz.
Das Segel wurde gehißt, die Pagaien peitschten das Wasser, und schon eine Stunde darauf verloren sich am Horizonte die letzten Spuren vom Rauchenden Felsen.
Fritz beabsichtigte, den kürzesten Weg nach dem Cap der Getäuschten Hoffnung einzuhalten; der stark beladene Kajak war aber gegen eine Unterwasserklippe gestoßen und mußte zur Weiterfahrt erst ausgebessert werden. Fritz steuerte deshalb in die Perlenbucht hinein und brachte seine Schutzbefohlene hier auf ein Eiland, von wo aus die Pinasse diese aufgenommen hatte.
Das war es, was Fritz zu berichten wußte.
Inzwischen ging das Leben, zuweilen in Falkenhorst und zuweilen in Felsenheim, in gewohnter Weise weiter, gestaltete sich aber nur noch glücklicher, seit Jenny Montrose in die ehrbare, fleißige Familie mit eingetreten war. Mit der Unterhaltung der Meiereien und der Pflege der Thiere verstrichen die Wochen bei anregender Thätigkeit. Jetzt verband schon eine schöne Obstbaumallee den Schakalbach mit dem »Schlosse« Falkenhorst, und auch in Waldegg, Zuckertop, bei der Einsiedelei Eberfurt und auf dem Prospect-Hill waren mancherlei Verschönerungen geschaffen worden. Welch herrliche Stunden gab es da in diesem, aus Bambus nach dem Vorbilde der Schweizerhäuschen erbauten Landhause! Oben, vom Hügel aus, bot sich auf der einen Seite eine weite Aussicht über einen großen Theil des Gelobten Landes, und auf der anderen eine solche bis zu dem acht bis neun Lieues entfernten Horizonte, wo sich Himmel und Wasser berührten.
Dann trat wieder die Regenzeit ein, in der der Monat Juni ungemein reichliche Niederschläge brachte, die dazu nöthigten, Falkenhorst zu verlassen und nach Felsenheim zurückzukehren. Das waren dann zwei bis drei recht beschwerliche Monate, die das oft lange anhaltende schlechte Wetter noch unangenehmer machten.
Einige Gänge nach den Meiereien, die wegen der Versorgung der Thiere nicht gescheut werden durften, und gelegentlich eine kurze Jagd, auf die Fritz und Jack, doch nur in der nächsten Umgebung von Felsenheim, auszogen, das war alles, was jeden Tag unter freiem Himmel ausgeführt werden konnte.
Trotzdem blieb die kleine Welt hier nicht etwa müßig. Frau Zermatt leitete die häuslichen Arbeiten, und Jenny unterstützte sie dabei mit angelsächsischer Findigkeit, die der schweizerischen Gewohnheitsmäßigkeit oft recht zu gute kam.
Während sich ferner das junge Mädchen von dem älteren Zermatt die deutsche Sprache zu erlernen bemühte, lernte die Familie von ihr die englische Sprache, die Fritz schon nach einigen Wochen recht gut beherrschte. War es denn ein Wunder, daß er von seinen Lectionen so großen Nutzen zog, wo er einen ihm so angenehmen Lehrer hatte?
Niemand klagte also besonders über die langen Tage der Regenzeit. Die Gegenwart Jennys verlieh ja den Abenden einen ganz neuen Reiz, und keiner dachte daran, sich zeitig in sein Zimmer zurückzuziehen. Frau Zermatt und Jenny beschäftigten sich dabei vielfach mit Nadelarbeiten, wenn das junge Mädchen, das eine prächtige Stimme hatte, nicht zum Singen aufgefordert wurde. Sie erlernte verschiedene schweizerische Lieder, deren nie veraltende Melodien an die Klänge aus den Bergen der Heimat erinnerten, und es war ein wirklicher Hochgenuß, sie aus ihrem Munde zu hören. Darauf las Ernst noch Das und Jenes vor, wozu er die besten Bücher aus der Bibliothek benützte, und so schien die Stunde der Ruhe allen stets zu früh zu schlagen.
Zermatt, seine Gattin und seine Kinder fühlten sich bei diesem trauten Beisammensein so glücklich wie möglich, wenn sie natürlich auch ihre Sorge um die Zukunft und die sehr schwache Aussicht, daß ihnen von irgendwoher Hilfe kommen könne, und die entfernte Heimat niemals vergaßen. Auch Jenny fühlte sich bei dem Gedanken an ihren Vater wohl oftmals recht bedrückt.
Von dem Schiffe, das sie heimführen sollte, dem »Dorcas«, hatte man nicht das geringste wieder gehört und mußte wohl annehmen, daß es bei einem Cyclon im Indischen Meere mit Mann und Maus untergegangen sei. Vollkommen kann ja auch nie das Glück Derer sein, die in der Einsamkeit zu leben gezwungen sind, denen jede Verbindung mit ihresgleichen abgeschnitten ist,
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