Das zweite Zeichen
Veilchen. Sie erinnerte ihn sehr stark an Gill.
Tracy hinterließ also eine unerfreuliche Spur des Chaos, auf der man sie verfolgen konnte.
Kleines Miststück. War sie einfach ausgeflippt oder hatte sie eine echte Absicht mit ihrem Besuch
in der Universitätsbibliothek verfolgt? Rebus lehnte sich gegen die Wand im Flur. Gott, was für
ein Tag. Eigentlich sollte er gerade ein wenig Leerlauf haben. »Alles auf den neuesten Stand zu
bringen«, bevor er sich voll und ganz der Anti-Drogen-Kampagne widmete. Eigentlich sollte er also
gerade eine ruhige Kugel schieben. Wer glaubt, wird selig.
Die aufschwingende Doppeltür zum Krankensaal riss ihn aus seinen Gedanken. Er bemerkte, dass
Brian Holmes im Flur stand. Holmes wirkte leicht orientierungslos, doch dann entdeckte er seinen
Vorgesetzten und kam rasch auf ihn zu. Rebus war sich immer noch nicht sicher, ob Holmes für ihn
eine wertvolle Unterstützung oder eher eine Belastung war. Konnte jemand beides auf einmal
sein?
»Alles in Ordnung?«, fragte er besorgt.
»Ja, ich nehm's an. Sie ist wach. Das Gesicht sieht allerdings noch ziemlich schlimm aus.«
»Das sind nur Blutergüsse. Die haben gesagt, dass die Nase wieder vollständig heilen wird. Man
wird nicht sehen können, dass sie mal gebrochen war.«
»Ja, das hat Nell auch gesagt.«
»Sie kann reden? Das ist gut.«
»Sie hat mir auch erzählt, wer es getan hat.« Holmes sah Rebus an, der den Blick abwandte. »Was
hat das alles zu bedeuten? Was hat Nell damit zu tun?«
»Nichts, soweit ich weiß. Sie war bloß gerade am falschen Ort und so weiter. Schreiben Sie's als
Zufall ab.«
»Zufall? Das ist ja leicht gesagt. Betrachten wir es als Zufall , und dann können wir die
ganze Sache vergessen, meinen Sie das? Ich weiß nicht, was für ein Spielchen Sie spielen, Rebus,
aber ich mache da nicht länger mit.«
Holmes drehte sich um und ging erhobenen Hauptes den Flur hinunter.
Rebus hätte ihn beinah noch gewarnt, dass an dieser Seite des Gebäudes kein Ausgang war, aber
Holmes war nicht auf Gefälligkeiten aus. Er brauchte etwas Zeit, eine Ruhepause. Das brauchte
Rebus auch, doch zunächst musste er noch über einiges nachdenken, und dafür war die Wache der
beste Ort.
Nur weil er sie ganz langsam nahm, schaffte Rebus die Stufen bis zu seinem Büro. Er saß gerade
mal zehn Minuten an seinem Schreibtisch, als ihn ein Verlangen nach Tee zum Telefon greifen ließ.
Dann lehnte er sich zurück und hielt sich ein Blatt Papier vor die Nase, auf dem er versucht
hatte, die »Fakten« des »Falles« darzulegen. Ihn fröstelte bei dem Gedanken, dass er
möglicherweise Zeit und Kraft verschwendete.
Eine Jury hätte sicher große Probleme, hier überhaupt ein Verbrechen zu erkennen. Es gab
keinerlei Hinweis, dass Ronnie sich den Schuss nicht selbst verpasst hatte. Andererseits war er eine ganze Weile nicht an Stoff herangekommen, obwohl es reichlich Drogen in der
Stadt gab, und irgendwer hatte seine Leiche von der Stelle bewegt und ein Päckchen mit
gutem Heroin dagelassen, vielleicht in der Hoffnung, dass es getestet und für sauber befunden
würde. Dann hätte man den Tod auf einen Unfall zurückgeführt, auf eine simple Überdosis. Aber
stattdessen hatte man das Rattengift gefunden.
Rebus starrte auf das Blatt Papier. Etliche »Vielleichts« und reine Mutmaßungen hatten sich
bereits in das Bild eingeschlichen.
Möglicherweise stimmte der Rahmen nicht. Dann dreh das Bild doch anders herum, John, und fang
noch mal von vorne an.
Warum hatte sich jemand die Mühe gemacht, Ronnie zu töten?
Schließlich hätte sich der arme Kerl früher oder später sowieso selber umgebracht. Ronnie litt
unter Entzug, weil er länger nicht an Stoff herangekommen war. Dann bekam er welchen, hatte aber
gewusst, dass das Zeug alles andere als sauber war. Also hatte er zweifellos auch gewusst, dass
derjenige, der es ihm gegeben hatte, ihn töten wollte. Aber er hatte es trotzdem genommen...
Nein, so gesehen ergab es noch viel weniger Sinn. Noch mal von vorn.
Warum sollte jemand ein Interesse an Ronnies Tod haben? Es gab mehrere nahe liegende Antworten.
Weil er etwas wusste, das er nicht wissen sollte. Weil er etwas besaß, das er nicht haben sollte.
Weil er etwas nicht besaß, das er haben sollte. Welches war die richtige Antwort? Rebus wusste es
nicht. Niemand schien es zu wissen. Das Ganze ergab immer noch keinen Sinn.
Es klopfte, dann wurde die Tür von einem Constable aufgestoßen, der einen Becher Tee in der Hand
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