Das zweite Zeichen
Gott, er hasste Leute, die sich geheimnisvoll gaben.
Rebus las den Abschiedsbrief in Carews Schlafzimmer. Er war elegant geschrieben, mit einem
richtigen Federkiel, doch aus einigen Worten sprach eindeutig Angst. Zittrige Buchstaben waren
durchgestrichen und neu geschrieben worden. Auch das Papier war sehr edel, dick und mit
Wasserzeichen. Der V12 stand in einer Garage hinter der Haus. Die Wohnung selbst war absolut
umwerfend, das reinste Museum für Artdéco-Stücke, Drucke moderner Kunst und wertvoller
Erstausgaben, die hinter Glas standen.
Das ist das genaue Gegenteil von Vanderhydes Wohnung, hatte Rebus gedacht, als er durch die
Zimmer ging. Dann hatte McCall ihm den Abschiedsbrief gegeben.
»Wie ich der Erste unter den Sündern bin, bin ich auch der Erste unter den Leidenden.« War das
irgendein Zitat? Gewiss war das Ganze ein bisschen weitschweifig für einen Abschiedsbrief. Aber
Carew hatte sicher einen Entwurf nach dem anderen angefertigt, bis er zufrieden war.
Der Brief musste präzise sein, sollte ihn bei der Nachwelt ins rechte Licht rücken. »Eines Tages
wirst du vielleicht erfahren, was Recht und Unrecht bei dieser Sache ist.« Nicht dass Rebus allzu
sehr danach suchen musste. Er hatte beim Lesen das mulmige Gefühl, dass Carews Worte direkt an
ihn gerichtet waren, dass er Dinge sagte, die nur Rebus so richtig verstehen konnte.
»Merkwürdiger Abschiedsbrief«, sagte McCall.
»Ja«, sagte Rebus.
»Du hast ihn erst kürzlich kennen gelernt, oder?«, sagte McCall. »Ich erinnere mich, dass du das
erwähnt hast. Machte er da einen normalen Eindruck? Ich meine, wirkte er irgendwie deprimiert
oder so?«
»Ich hab ihn danach noch mal gesehen.«
»Ach ja?«
»Vor ein paar Nächten hab ich mal auf dem Calton Hill herumgeschnüffelt. Er saß dort in seinem
Wagen.«
»Ah-ha.« McCall nickte. Allmählich ergab alles ein bisschen mehr Sinn.
Rebus gab ihm den Brief zurück und ging zum Bett. Die Laken waren zerwühlt. Drei leere
Tablettenfläschchen standen ordentlich aufgereiht auf dem Nachttisch. Auf dem Fußboden lag eine
leere Cognacflasche.
»Der Mann ist stilvoll abgetreten«, sagte McCall und steckte den Brief in die Tasche. »Davor
hatte er bereits zwei Flaschen Wein geleert.«
»Ja, ich hab sie im Wohnzimmer gesehen. Lafitte einundsechzig. Wein für einen ganz speziellen
Anlass.«
»Es gibt keinen spezielleren, John.«
Beide Männer drehten sich um, als sie die Anwesenheit einer dritten Person im Raum spürten. Es
war Farmer Watson, schwer atmend vom Treppensteigen.
»Das ist absolut beschissen«, sagte er. »Eine der Stützen unserer Kampagne bringt sich um, und
das ausgerechnet mit einer Überdosis. Wie sieht das denn aus?«
»Beschissen, Sir«, antwortete Rebus, »wie Sie bereits sagten.«
»Ja, ja, hab ich gesagt.« Watson zeigte mit einem Finger auf Rebus.
»Jetzt ist es Ihre Aufgabe, John, dafür zu sorgen, dass die Medien sich nicht genüsslich darüber
hermachen oder über uns.«
»Ja, Sir.«
Watson schaute zum Bett hinüber. »Schade um diesen verdammt anständigen Mann. Was bringt jemanden
nur dazu, so etwas zu tun? Ich meine, sehen Sie sich doch bloß mal diese Wohnung an. Außerdem hat
er noch ein Anwesen auf einer der Inseln. Eine eigene Firma. Teures Auto. Dinge, von denen
unsereins nur träumen kann. Das gibt einem doch zu denken, nicht wahr?«
»Ja, Sir.«
»Okay.« Watson warf einen letzten Blick auf das Bett, dann schlug er Rebus auf die Schulter. »Ich
verlasse mich ganz auf Sie, John.«
»Ja. Sir.«
McCall und Rebus sahen ihrem Vorgesetzten hinterher.
»Verdammt noch mal!«, flüsterte McCall. »Er hat mich nicht ein Mal angesehen. Ich hätte genauso
gut nicht da sein können.«
»Da solltest du deinem Schicksal dankbar sein, Tony. Ich wünschte, ich hätte deine Fähigkeit,
sich unsichtbar zu machen.«
Beide Männer lächelten. »Genug gesehen?«, fragte McCall.
»Ich dreh noch eine Runde«, sagte Rebus. »Dann nerv ich dich nicht mehr.«
»Ganz wie du meinst, John. Bloß noch eine Sache.«
»Was denn?«
»Was zum Teufel hast du mitten in der Nacht auf dem Calton Hill verloren?«
»Frag nicht«, sagte Rebus und warf ihm eine Kusshand zu, während er auf das Wohnzimmer
zusteuerte.
Natürlich würde es der Knaller in den Lokalnachrichten sein. Da führte kein Weg dran
vorbei. Die Rundfunkstationen und Zeitungen hätten sicher Mühe zu entscheiden, welche Schlagzeile
stärker fetter werden sollte: Diskjockey bei illegalem Hundekampf festgenommen oder
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