Dass du ewig denkst an mich
Lauries Lage, dachte Moody. Die Familie ist
zerstört, und du gibst dir dafür die Schuld. Du bist verletzbar
und klammerst dich an einem Typen fest, der nett zu dir ist, ein
Mann, der sowohl attraktiv als auch alt genug ist, um eine Art
Vaterfigur abzugeben, und dann weist er dich ab. Und du
explodierst.
Ein eindeutiger Fall. Brendon suchte herum, überprüfte,
wertete aus, überlegte. Er stand vor der Wanne im
Badezimmer. Man hatte Blutspuren darin gefunden. Laurie war
geistesgegenwärtig genug gewesen, die Laken und ihre
Kleidung zu waschen, sie zum Trockner zu tragen, sie dann
zusammenzufalten und wegzulegen. Sie hatte auch versucht,
ihr Uhrenarmband zu säubern. Brendon wußte sehr wohl, was
der Ankläger aus solchem Beweismaterial machen konnte. Da
sollte mal einer versuchen, Panik und Verwirrung zu beweisen,
wenn jemand so systematisch versuchte, Spuren zu
verwischen.
Als Brendon schon im Begriff war, das Zimmer zu
verlassen, sah er sich noch einmal um. Er hatte absolut nichts
gefunden, nichts, was sich auch nur annähernd als
Entlastungsmaterial für Laurie verwenden ließ… Warum nagte
dann bloß der Gedanke an ihm, daß er irgend etwas übersah?
63
Sarah konnte die ganze Nacht nicht schlafen; die Ereignisse
des Tages liefen immer wieder vor ihrem inneren Auge ab:
Lauries Schreie, das zerfetzte Bild, die Polizeibeamten an der
Tür, der Anblick Lauries, wie sie in Handschellen weggeführt
wurde, sie und Justin im Wagen hinter dem Streifenwagen. Als
Sarah schließlich einschlief, dämmerte bereits der Morgen, und
sie fiel in unruhigen Schlaf, in dem sie von Gerichtssälen und
Schuldsprüchen träumte.
Um acht Uhr wachte sie auf, duschte, zog ein hellbraunes
Kaschmirhemd an, dazupassende Hosen und dunkelbraune
Stiefel und ging dann hinunter. Sophie war bereits in der
Küche, und der Kaffee duftete. In einem geblümten Krug stand
frischgepreßter Orangensaft auf dem Tisch, dazu ein hübsch in
einer Tiffany-Schale angerichteter Salat aus Orangen,
Grapefruit, Äpfeln und Melone.
Alles sieht so normal aus, dachte Sarah, gerade als würden
Mama und Papa und Laurie jeden Augenblick die Treppe
herunterkommen. Sie rieb sich müde die Stirn. »Gestern ist
etwas passiert, ich weiß nicht was, aber Laurie hat gesagt, sie
würde nie wieder eine Nacht in ihrem Schlafzimmer
verbringen. Sophie, wenn diese Frau, die sich neulich das Haus
noch einmal angesehen hat, es haben will, werde ich es
verkaufen.«
Der erwartete Protest blieb aus, Sophie seufzte nur:
»Vielleicht hast du recht. Das ist kein glückliches Zuhause
mehr.«
Daß Sophie ihr beipflichtete, war für Sarah eine
Erleichterung und traf sie doch zugleich wie ein Schlag. Sie
trank ihren Saft aus und schluckte an dem Kloß, der ihr in der
Kehle saß. »Ich nehme nur noch Kaffee, sonst nichts.«
Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Glaubst du, du hast den
größten Teil der Schnipsel gefunden, in die Laurie gestern das
Bild zerrissen hat?«
Um Sophies Lippen spielte ein triumphierendes Lächeln.
»Noch viel besser: Ich habe es zusammengesetzt. Da schau, ich
habe es auf einem Blatt Papier zusammengefügt, und als ich
dann sicher war, daß alles stimmte, habe ich es geklebt. Das
Problem ist nur, daß die einzelnen Schnipsel zu klein waren, so
daß der Klebstoff sie fast zudeckt. Man kann nicht viel
erkennen.«
»Aber es ist doch nur ein Bild von Laurie als Kind«, rief
Sarah aus. »Das kann sie doch unmöglich so erregt haben.« Sie
studierte das Bild und zuckte dann hilflos die Achseln. »Ich
werde es Dr. Donnelly zeigen.«
Sophie war enttäuscht. Sie hatte so sehr gehofft, daß das
zusammengeklebte Bild irgendeinen Hinweis darauf liefern
würde, was Lauries hysterischen Anfall ausgelöst hatte. Dann
fiel ihr etwas ein, und sie kramte in ihrer Schürzentasche. Doch
die Heftklammer, die sie aus einem der Bildfetzen gelöst hatte,
war nicht da, sie steckte in der Tasche des Hauskleides, das sie
gestern getragen hatte. Aber eigentlich konnte sie ja nicht
wichtig sein, entschied sie, als sie Sarah eine letzte Tasse
Kaffee einschenkte.
64
Am Dienstag morgen hörten Bic und Opal in den Acht-UhrNachrichten von Laurie Kenyons Drohbrief an Karen Grant
und daß man die ihr gewährte Haftverschonung aufgehoben
und sie zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen in eine
geschlossene Klinik eingewiesen habe.
»Bic, meinst du, daß die sie dort zum Reden bringen
werden?« fragte Opal nervös.
»Man wird
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