Dass du ewig denkst an mich
man ihr Haftverschonung gewährt hatte; diese war deshalb
widerrufen worden.
Am Abend desselben Tages saß Sarah in Justin Donnellys
Büro in der Klinik. »Wenn Sie nicht dagewesen wären, dann
wäre Laurie jetzt in einer Gefängniszelle«, sagte sie. »Ich kann
Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin.«
Donnelly hatte den Richter davon überzeugt, daß Laurie
unter ungeheurem psychischem Streß stand und auf stationäre
fachkundige Behandlung angewiesen war, worauf der Richter
seine Verfügung geändert und die Einweisung in Donnellys
Klinik verfügt hatte. Auf der Fahrt von New Jersey nach New
York hatte sie wie in Trance geschlafen.
Justin wählte seine Worte sorgfältig. »Ich bin froh, sie hier
zu haben; sie muß ständig überwacht werden.«
»Um sie davon abzuhalten, Drohbriefe zu verschicken?«
»Und um sie davon abzuhalten, daß sie sich etwas antut.«
Sarah stand auf. »Ich habe jetzt Ihre Zeit genügend
beansprucht, Doktor. Ich komme morgen früh wieder.«
Es war inzwischen fast neun Uhr geworden. »Gleich um die
Ecke gibt es ein Lokal, wo man gut ißt und schnell bedient
wird«, meinte Donnelly. »Was halten Sie davon, mit mir
schnell einen Happen zu essen, und dann lasse ich einen
Wagen kommen, der Sie nach Hause bringt?«
Die Vorstellung, mit Justin Donnelly etwas zu essen und
eine Tasse Kaffee zu trinken, statt in das leere Haus
zurückzukehren, war Sarah durchaus angenehm. »Gern«, sagte
sie einfach.
Laurie stand am Fenster ihres Zimmers. Das Zimmer gefiel ihr,
es war nicht groß, und sie konnte es mit einem Blick erfassen.
Sie fühlte sich sicher. Das Fenster nach draußen ließ sich nicht
öffnen, das hatte sie ausprobiert. Es gab noch ein Fenster nach
innen, zum Korridor und der Schwesternstation. Sie hatte den
Vorhang ein Stück beiseite geschoben, um nicht ganz im
Dunkeln zu sein.
Was war heute passiert? Das letzte, woran sie sich erinnerte,
war, daß sie am Schreibtisch gesessen und geschrieben hatte.
Sie hatte umgeblättert, und dann…
Dann war alles dunkel geworden, bis ich sah, wie Dr.
Donnelly sich über mich beugte, dachte sie. Dann gingen wir
die Treppe hinunter, und die Polizei kam.
Die Polizeibeamten hatten gesagt, sie hätte einen Brief an
Allan Grants Frau geschrieben. Warum sollte ich ihr
schreiben? fragte sich Laurie. Die haben gesagt, ich hätte sie
bedroht. Das ist albern, dachte sie. Wann hätte ich den Brief
denn schreiben sollen? Und wann ihn zur Post bringen?
Wenn Karen Grant in den letzten Tagen einen Drohbrief
erhalten hatte, war das ein Beweis dafür, daß jemand anderer
ihn abgeschickt haben mußte. Sie konnte es gar nicht erwarten,
Sarah darauf hinzuweisen.
Laurie lehnte die Stirn gegen das Fenster. Es fühlte sich kühl
an. Sie war jetzt müde und würde zu Bett gehen.
Sie drehte sich um, ging durchs Zimmer, legte sich ins Bett
und zog die Decke hoch. Ihre Augen waren so schwer. Wie gut
es doch tat, sich einfach treiben zu lassen.
62
Am Dienstag morgen fuhr Brendon Moody zum Clinton
College; er wollte sich mit den Bewohnern von Lauries
Wohnheim befassen.
Die Labortechniker der Staatsanwaltschaft hatten Lauries
Apartment gründlich durchsucht und dann freigegeben. Für
Brendon war es die erste Station.
Es wirkte völlig chaotisch: Das Bett war abgezogen, die Tür
des Einbauschrankes stand offen, und die Kleider sahen aus,
als hätte man sie untersucht und dann wahllos wieder auf die
Bügel gehängt. Die Schubladen der Kommode standen halb
offen, und der Inhalt des Schreibtisches war auf der Platte
verstreut.
Die Schreibmaschine, auf der die Briefe an Allan Grant
geschrieben worden waren, und das restliche Papier hatten die
Ermittler mitgenommen, das wußte Moody. Er wußte auch,
daß die Bettlaken und Lauries notdürftig gewaschene Kleidung
sowie ein blutbeflecktes Uhrenarmband und ein Armreif
konfisziert worden waren.
Was suchte er also?
Im aufgeräumten Zustand war das Apartment recht nett, das
konnte man erkennen. Beige, bodenlange, geraffte Vorhänge,
eine beige Überdecke auf dem Bett, eingerahmte Monet- und
Manet-Drucke und ein halbes Dutzend Golftrophäen auf dem
Regal über dem Bücherschrank. Auf dem Schreibtisch stand
ein einziges Familienbild. Brendon studierte die Fotografie.
Die Kenyons. Er hatte ihre Eltern gekannt. Diese Aufnahme
mußte am Swimmingpool hinter dem Haus aufgenommen
worden sein und zeigte eine ganz offenkundig glückliche und
zufriedene Familie.
Versetz dich in
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