Dass du ewig denkst an mich
anders. Sie war überzeugt, daß Karen nicht
wollte, daß irgendwelche Kollegen ihres verstorbenen Mannes
sie nach dem Gang der Geschäfte fragten, weil Anne dann
möglicherweise gesagt hätte, daß das Geschäft schon seit
einigen Jahren miserabel lief. Connie hätte ihren letzten Dollar
darauf verwettet, daß Karen im Clinton College den Eindruck
vermittelt hatte, bei Global Travel handle es sich um eine der
bedeutendsten Reiseagenturen des Landes.
Bei Karens Eintritt brach das Gespräch ab. Sie begrüßte sie
kurz und sagte: »Der Dekan hat jemanden die Post bei mir zu
Hause abholen lassen. Ein riesiger Haufen ist das, größtenteils
Kondolenzkarten, nehme ich an. Ich mag sie ja nicht lesen,
aber das läßt sich wohl nicht vermeiden.«
Mit einem übertriebenen Seufzen ließ sie sich an ihrem
Schreibtisch nieder und griff nach einem Brieföffner. Minuten
später stöhnte sie auf: »Mein Gott.«
Connie und Anne sprangen auf und eilten zu ihr. »Was ist
denn? Was ist denn passiert?«
»Ruft die Polizei in Clinton an«, rief Karen erschreckt und
mit kreidebleichem Gesicht. »Da ist ein Brief von Laurie
Kenyon, wieder mit der Unterschrift ›Leona‹. Jetzt droht dieses
verrückte Mädchen, mich umzubringen!«
61
Am Montag morgen war die Sitzung mit Laurie nicht
sonderlich ergiebig. Sie war still und deprimiert und erzählte
Justin nur von ihrem letzten Golfspiel. »Ich war miserabel, Dr.
Donnelly. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. So
viele laute Gedanken.« Aber er brachte sie nicht dazu, über
diese lauten Gedanken zu sprechen, und es wollte auch keine
der anderen Persönlichkeiten mit ihm sprechen.
Um zwei Uhr mittags rief unerwartet Sarah an. Im
Hintergrund konnte Justin Donnelly Laurie schreien hören.
Mit zitternder Stimme sagte Sarah: »Laurie hat einen
hysterischen Anfall. Sie hat in den Fotoalben geblättert und ein
Bild völlig zerfetzt.«
Jetzt konnte Donnelly hören, was Laurie die ganze Zeit
kreischte: »Ich verspreche, daß ich es niemandem sagen werde.
Das verspreche ich, ich sage es ganz bestimmt niemandem.«
»Beschreiben Sie mir den Weg zu Ihrem Haus«, sagte er
schnell. »Und verpassen Sie ihr zwei Valium.«
Sophie ließ ihn ein und führte ihn die Treppe in Lauries
Zimmer hinauf. Sarah saß auf dem Bett und hielt die unter
Beruhigungsmitteln stehende Laurie an sich gedrückt.
Justin beugte sich über Laurie und begann sie zu
untersuchen. Ihr Puls ging unregelmäßig, ihr Atem war
schwach, die Pupillen waren geweitet, und die Haut fühlte sich
kalt an. »Sie steht unter Schock«, sagte er leise. »Wissen Sie,
was den Schock ausgelöst hat?«
»Nein. Als wir nach Hause kamen, wirkte sie ganz normal.
Sie sagte, sie wolle in ihr Tagebuch schreiben. Dann hörte ich
sie schreien. Ich denke, sie muß in den Alben geblättert haben,
weil sie ein Bild zerfetzt hat. Die Fetzen sind über den ganzen
Schreibtisch verstreut.«
»Ich möchte, daß Sie die einzelnen Stücke einsammeln«,
sagte Justin. »Sehen Sie zu, daß Sie keines übersehen.« Er
tippte Laurie an die Stirn. »Laurie, ich bin’s, Dr. Donnelly. Ich
möchte, daß Sie mit mir reden. Sagen Sie mir Ihren vollen
Namen.«
Sie gab keine Antwort. Donnelly tippte noch einmal an ihre
Stirn, diesmal kräftiger. »Sagen Sie mir Ihren Namen«, drängte
er. Schließlich schlug Laurie die Augen auf. Ein Ausdruck der
Überraschung zog über ihr Gesicht, dem Erleichterung folgte.
»Dr. Donnelly«, murmelte sie. »Wann sind Sie gekommen?«
Sarah spürte, wie die Anspannung, die sie erfaßt hatte,
nachließ. Die letzte Stunde war qualvoll gewesen; das
Beruhigungsmittel hatte zwar Lauries hysterischen Anfall
beendet, aber die Art und Weise, wie sie sich völlig in sich
zurückgezogen hatte, war noch erschreckender gewesen, und
sie hatte befürchtet, Laurie könnte ihnen so weit entgleiten, daß
sie den Weg zurück vielleicht nicht mehr schaffen würde.
»Ich will nicht hierbleiben«, sagte Laurie plötzlich. Sie hatte
sich aufgesetzt und preßte sich schützend die Arme an den
Leib. »Ich kann nicht hierbleiben. Bitte.«
»Also gut«, sagte Justin ruhig. »Gehen wir hinunter. Wir
könnten alle eine Tasse Tee gebrauchen.« Er stützte Laurie,
und sie gingen die Treppe hinunter, als die Glocke im Vorraum
ertönte.
Sophie empfing zwei uniformierte Polizeibeamte. Sie hatten
einen Haftbefehl für Laurie. Mit dem Drohbrief an Allan
Grants Witwe hatte sie die Bedingungen verletzt, unter denen
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