Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dass du ewig denkst an mich

Titel: Dass du ewig denkst an mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
hatte sie die Samstage damit verbracht, das, was sich in
sechs Jahren Ehe in dem Haus angesammelt hatte, zu
durchforsten und die Möbelstücke auszuwählen, die sie nach
New York mitnehmen wollte. Allans Wagen hatte sie verkauft
und einen Immobilienmakler mit dem Verkauf des Hauses
betraut. Heute würde in der Kapelle auf dem Campus ein
Gedächtnisgottesdienst für Allan abgehalten werden.
    Morgen würde sie für vier Tage nach St. Thomas reisen. Der
Tapetenwechsel würde ihr guttun. Bei dem Gedanken, daß
auch Edwin mit dabeisein würde, beschleunigte sich ihr Puls,
und sie lächelte. Nur noch bis zum Herbst, dann würden sie
sich nicht mehr zu verstecken brauchen.
    Der Gedächtnisgottesdienst war fast so schlimm wie die
Beerdigung. Die Lobrede auf Allan überwältigte sie, und Karen
hörte sich schluchzen. Louise Larkin, die neben ihr saß, legte
den Arm um sie. »Wenn er nur auf mich gehört hätte«, flüsterte
Karen Louise zu. »Ich habe ihn gewarnt, daß dieses Mädchen
gefährlich sei.«
    Nach dem Gottesdienst gab es einen Empfang bei den
Larkins zu Hause, zu dem nicht nur Angehörige der Fakultät
und der Verwaltung, sondern auch ein Dutzend Studenten und
Studentinnen eingeladen worden waren. Einige von ihnen
ergingen sich in Beileidsbezeugungen, andere erzählten
Anekdoten über Allan. Karens Augen wurden feucht, wenn sie
ihren Gesprächspartnern sagte, daß Allan ihr jeden Tag mehr
fehlte.
    Auf der anderen Seite des Raumes nippte Vera West, das
jüngste Mitglied der Fakultät, an einem Glas Weißwein. Ihr
rundes, freundliches Gesicht war von kurzen braunen
Naturlocken eingerahmt. Eine getönte Brille, die sie eigentlich
gar nicht brauchte, verbarg ihre nußbraunen Augen, aber sie
hatte Angst, daß ihr Ausdruck sie verraten könnte. Wieder
nippte sie an ihrem Wein und versuchte, die Erinnerung an eine
Fakultätsparty vor ein paar Monaten zu verdrängen, wo Allan,
nicht seine Frau, auf der anderen Seite des Raumes gestanden
hatte. Vera hatte gehofft, daß ihre krankheitsbedingte
Abwesenheit ihr die Zeit geben würde, die sie brauchte, um
ihre Gefühle in den Griff zu bekommen - Gefühle, die niemand
bei ihr vermuten durfte. Während sie die Haarsträhne, die ihr
immer wieder in die Stirn fiel, zurückschob, dachte sie an den
Vers eines Dichters aus dem 19. Jahrhundert: »Kummer, der
sich nie in Worte kleidet, ist die schwerste Last, die Menschen
tragen müssen.«
    Louise Larkin trat neben sie. »Schön, daß Sie wieder zurück
sind, Vera. Sie haben uns gefehlt. Wie fühlen Sie sich?« Ihre
Augen musterten sie prüfend.
    »Viel besser, vielen Dank.« Nach Allans Beerdigung hatte
Vera sich in ihr Haus in Cape Cod geflüchtet. Eine schwere
Grippe war der Vorwand gewesen, den sie am Telefon dem
Dekan gegenüber gebraucht hatte.
    »Für jemanden, der einen so schrecklichen Verlust erlitten
hat, sieht Karen wirklich großartig aus, finden Sie nicht,
Vera?«
    Vera hob das Glas an die Lippen und sagte dann ruhig:
»Karen ist eine wunderschöne Frau.«
»Wenn ich eine Fremde wäre und müßte raten, wer von
Ihnen beiden den Verlust eines lieben Menschen betrauert,
würde ich auf Sie tippen. Sie wirken furchtbar mitgenommen.«
Louise Larkin drückte Veras Hand und lächelte mitfühlend.
69
    Laurie erwachte von leisen Stimmen auf dem Korridor. Es war
ein beruhigendes Geräusch, und sie hörte es jetzt seit drei
Monaten. Februar. März. April. Jetzt war Anfang Mai.
Draußen, bevor sie hierhergekommen war, ob es nun auf der
Straße, auf dem Campus oder selbst zu Hause war, hatte sie
sich immer gefühlt, als befände sie sich im freien Fall, ohne
anhalten zu können. Hier in der Klinik hatte sie das Gefühl, die
Zeit wäre für sie stehengeblieben und hätte ihren Sturz
verlangsamt. Sie war dankbar für den Aufschub, wenn sie auch
wußte, daß am Ende niemand sie würde retten können.
    Langsam setzte sie sich auf und zog die Knie ans Kinn. Dies
war einer der besten Augenblicke des Tages, wenn sie
aufwachte und wußte, daß nicht der Messertraum sie aus dem
Schlaf gerissen hatte und daß, was immer sie bedrohte, in
Schach gehalten wurde.
    Sie sollte solche Gedanken in ihr Tagebuch schreiben, also
griff sie nach ihrem Spiralblock und dem Stift auf dem
Nachttischchen. Sie hatte noch Zeit, ein paar Worte
hinzukritzeln, ehe sie sich anzog und frühstücken ging. Sie
schob die Kissen hoch, lehnte sich zurück und schlug das Buch
auf.
    Da waren ein paar Seiten

Weitere Kostenlose Bücher