Dass du ewig denkst an mich
Durchbruch kam noch am selben Abend.
Brendon saß an der Bar seiner Lieblingsgaststätte und
unterhielt sich mit einigen ehemaligen Kollegen von der
Staatsanwaltschaft. Nach einer Weile wandte sich das
Gespräch Sarah und Laurie Kenyon zu, und man war allgemein
der Ansicht, daß es für Sarah wohl am besten sein würde, es
mit ›Mauscheln‹ zu versuchen, wie es im Jargon hieß, also sich
auf eine inoffizielle Absprache mit dem Gericht und der
Staatsanwaltschaft einzulassen und mit einem
Schuldbekenntnis in einem frühen Stadium eine mildere Strafe
einzuhandeln und damit die Prozeßdauer abzukürzen. »Wenn
die die, Anklage auf schwere Körperverletzung mit Todesfolge
herunterschrauben, könnte Laurie fünfzehn bis dreißig Jahre
bekommen, davon wahrscheinlich ein Drittel absitzen und mit
sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig wieder in Freiheit
sein.«
»Den Vorsitz führt Richter Armon, der läßt sich nicht auf
Mauscheln ein«, meinte einer der stellvertretenden
Staatsanwälte. »Und außerdem sind Täter dieser Art bei
keinem Richter sonderlich populär, wenn es zur Festsetzung
des Strafmaßes kommt.«
Bill Owens, ein Privatdetektiv einer
Versicherungsgesellschaft, stand neben Brendon Moody und
wartete, bis das Thema wechselte. Dann meinte er: »Brendon,
ich werde Ihnen jetzt einen Tip geben, aber daß mir ja niemand
erfährt, daß er von mir kommt.«
Nur Moodys Augen bewegten sich, den Kopf hielt er still.
»Was gibt’s?«
»Sie kennen doch Danny O’Toole?«
»Danny, den Schlafzimmerspezialisten? Sicher. Wen hat er
denn in letzter Zeit bespitzelt?«
»Genau darauf will ich hinaus. Er war neulich hier und ein
wenig angetrunken, und die Rede kam ebenfalls auf den Fall
Kenyon. Und jetzt hören Sie gut zu: Nach dem Tod der Eltern
wurde Danny engagiert, um Nachforschungen über die
Schwestern anzustellen. Es ging um einen
Versicherungsanspruch. Als die jüngere dann verhaftet wurde,
wurde sein Auftrag beendet.«
»Klingt verdächtig«, sagte Moody. »Ich werde mich sofort
darum kümmern. Vielen Dank.«
71
»Die Leute, die unser Haus gekauft haben, gehen Sarah
allmählich auf die Nerven«, vertraute Laurie Dr. Donnelly an.
Das überraschte Justin. »Das war mir gar nicht bewußt.«
»Ja, Sarah sagt, sie seien dauernd um sie herum. Sie wollen
das Haus im August übernehmen und haben gebeten, ein paar
Sträucher pflanzen zu dürfen.« »Haben Sie sie je im Fernsehen
gesehen, Laurie?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich mag solche Sendungen nicht.«
Justin wartete. Der Bericht der Kunsttherapeutin lag auf
seinem Schreibtisch. Allmählich war in Lauries Skizzen ein
durchgehendes Thema zu erkennen. Das letzte halbe Dutzend
waren Collagen gewesen, jede davon hatte zwei ganz
bestimmte Szenen enthalten: einen Schaukelstuhl mit einem
dicken Kissen und daneben die Strichfigur einer Frau, und die
andere war ein Baum mit einem dicken Stamm und mächtigen
Zweigen vor einem fensterlosen Haus.
Justin deutete auf die Zeichnungen. »Laurie, sehen Sie sich
diesen Schaukelstuhl an. Können Sie ihn mir beschreiben?«
Er merkte, daß sie anfing, ihm zu entgleiten, denn ihre
Augen weiteten sich, und ihr ganzer Körper schien sich zu
verspannen. Aber er wollte sich jetzt nicht von einer ihrer
anderen Persönlichkeiten den Weg versperren lassen. »Laurie,
versuchen Sie es.«
»Ich habe Kopfschmerzen«, wisperte sie.
»Laurie, haben Sie Vertrauen zu mir. Sie haben sich gerade
an etwas erinnert, nicht wahr? Haben Sie keine Angst und
erzählen Sie mir davon. Sarah möchte es auch wissen. Bitte,
lassen Sie es heraus.«
Sie deutete auf den Schaukelstuhl und preßte dann die
Lippen zusammen, drückte die Arme an die Seiten.
»Laurie, zeigen Sie es mir. Wenn Sie nicht darüber reden
können, dann zeigen Sie mir, was passiert ist.«
»Das werde ich.« Die kindliche Lispelstimme.
»Braves Mädchen, Debbie.« Justin wartete.
Sie hakte die Füße unter seinem Schreibtisch ein und kippte
ihren Stuhl nach hinten. Ihre Arme waren an ihre Seiten
gepreßt, als hielte sie ein unsichtbarer Riese fest. Sie ließ den
Stuhl auf den Boden hinunterkrachen und kippte ihn dann
wieder nach hinten. Ihr Gesicht war angstverzerrt. »›Amazing
grace‹«, sang sie mit ihrer brüchigen Mädchenstimme.
Der Stuhl polterte abwechselnd auf den Boden und kippte
dann wieder, die perfekte Imitation eines Schaukelstuhls. Mit
nach hinten gelehntem Körper und reglosen Armen imitierte
sie ein kleines Kind, das
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