Daughter of Smoke and Bone
bist
du
?«
Es war eine rhetorische Frage, aber er nahm sie ernst. »Ich bin ein Soldat.«
»Und was machst du hier?«, wollte Karou wissen. »Dein Krieg ist woanders. Warum bist du hergekommen?«
Akiva holte tief Luft und sank wieder auf dem Stuhl zusammen. »Ich brauchte … etwas. Etwas anderes. Ich lebe den Krieg seit einem halben Jahrhundert …«
»Du bist
fünfzig
?«, rief Karou überrascht aus.
»In meiner Welt lebt man lang.«
»Hast du’s gut«, meinte Karou. »Hier muss man sich mit einer Zange alle Zähne ausreißen, wenn man lange leben will.«
Bei der Erwähnung von Zähnen funkelten seine Augen bedrohlich, aber er sagte nur: »Langes Leben ist eine Last, wenn es nur aus Elend besteht.«
Elend. Redete er von sich?
Als sie ihn fragte, schloss er die Augen, als hätte er den Kampf, sie offen zu halten, abrupt aufgegeben. Er schwieg so lange, dass Karou sich fragte, ob er tatsächlich eingeschlafen war, und die Hoffnung auf eine Antwort aufgab. Ihre Frage hatte sich sowieso aufdringlich angefühlt. Und sie war sich ziemlich sicher, dass er tatsächlich sein eigenes Leben gemeint hatte. Sie erinnerte sich daran, wie er in Marrakesch auf sie gewirkt hatte. Was hatte er durchgemacht, dass seine Augen so völlig tot waren?
Erneut überkam sie der Drang, ihm etwas zu trinken anzubieten, aber sie widerstand ihm und starrte Akiva einfach an – seine fein geschnittenen Gesichtszüge, das tiefe Schwarz seiner Brauen und Wimpern, die Linien auf seinen Händen. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, so dass sie deutlich seinen hervortretenden Adamsapfel und ein bisschen höher den gleichmäßigen Puls an seiner Halsschlagader sehen konnte.
Wieder wurde ihr schlagartig seine körperliche Präsenz bewusst. Er war ein Wesen aus Fleisch und Blut, wenn auch anders als alle, die sie je gesehen oder berührt hatte. Er war eine Verschmelzung von Elementen: Feuer und Erde. Sie hätte gedacht, ein Engel müsste auch etwas von der Luft an sich haben, aber er war kraftvoll, robust und echt.
Seine Augen öffneten sich, und Karou zuckte zusammen. Schon wieder hatte er sie beim Starren erwischt. Wie oft würde sie noch erröten?
»Tut mir leid«, sagte er mit schwacher Stimme. »Ich glaube, ich bin eingeschlafen.«
»Ähm … möchtest du ein Glas Wasser?« Karou konnte sich die Frage nicht länger verkneifen.
»Bitte, gern.« Er klang so dankbar, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam, weil sie nicht früher nachgefragt hatte.
Sie entflocht ihre Beine aus dem Lotussitz, stand auf und holte ihm ein Glas Wasser. Er trank es in einem Zug aus. »Danke«, sagte er in einem Ton, als wäre es sehr wichtig.
Karou wusste nicht, was sie sagen sollte. Wie sie so vor ihm stand, fühlte sie sich riesig und schlaksig. Da es außer dem Bett keine Sitzmöglichkeit gab, ließ sie sich wieder darauf nieder. Irgendwie hätte sie gerne ihre Stiefel ausgezogen, aber vermutlich war es besser, sie anzulassen, solange die Gefahr bestand, dass sie plötzlich fliehen oder zutreten musste. Auch wenn beides Akivas offensichtlicher Erschöpfung nach zu urteilen eher unwahrscheinlich war. Die einzig wirkliche Gefahr bestand darin, dass ihre Füße vielleicht müffelten.
Also ließ sie die Stiefel an.
»Ich verstehe immer noch nicht, warum ihr die Portale verbrannt habt. Wie sollte das euren Krieg beenden?«, fragte Karou.
Akivas Hände verkrampften sich um das Wasserglas. »Durch die Portale kam Magie«, antwortete er. »Dunkle Magie.«
»
Magie
in der Menschenwelt? Hier gibt es keine Magie.«
»Sagt das fliegende Mädchen.«
»Okay, aber das kann ich nur durch einen Wunsch aus eurer Welt.«
»Von Brimstone.«
Sie nickte.
»Also weißt du, dass er ein Magier ist.«
»Ich … Ähm. Ja.« Sie hatte Brimstone nie als Magier gesehen. War es möglich, dass er nicht nur mit Wünschen handelte? Was wusste sie eigentlich über ihn, und was wusste sie alles nicht? Es war, als würde sie in vollkommener Finsternis stehen, die genauso gut eine dunkle Kammer sein konnte oder eine unendliche, sternenlose Nacht.
Ein Kaleidoskop von Erinnerungen drehte sich in ihrem Kopf. Das Prickeln von Magie, das sie wahrgenommen hatte, wenn sie Brimstones Laden betreten hatte. Die Zähne und die Edelsteine. Die Steintische in der unterirdischen Kathedrale, auf denen Tote aufgebahrt waren, die, wie Karou am eigenen Leib hatte erfahren müssen, nicht wirklich tot waren. Und sie erinnerte sich daran, wie Issa sie ermahnt hatte, sie sollte Brimstone das
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