Daughter of Smoke and Bone
für eine Rolle, wen er geliebt hatte? Sie schluckte. Was sollte sie darauf antworten? Sie konnte dem, was er gesagt hatte, nicht widersprechen, und trotzdem hatte sie Zweifel, dass das Ganze so eindeutig war. Sie wusste zwar sehr wenig, aber das hieß nicht, dass sie ihm alles glaubte. »Ich würde gerne Brimstones Version hören«, sagte sie leise. Im gleichen Augenblick wurde ihr plötzlich etwas sehr Wichtiges bewusst. »
Du
könntest mich doch zu ihm bringen!«
Akiva blinzelte verblüfft, dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Das ist kein Ort für Menschen.«
»Aber das hier ist ein Ort für Engel?«
»Das ist etwas anderes. Hier ist es sicher.«
»Ach wirklich? Erzähl meinen Narben, wie sicher es hier ist.« Sie schob den Kragen ihrer Bluse zur Seite, so dass er das verhärtete Narbengewebe über ihrem Schlüsselbein sehen konnte. Akiva zuckte zusammen – er hatte ihr das angetan! –, und Karou zupfte ihren Kragen wieder zurecht. »Außerdem gibt es Wichtigeres als Sicherheit«, argumentierte sie. »Zum Beispiel die Leute, die man liebt.« Es fühlte sich herzlos an, seine eigenen Worte gegen ihn zu verwenden. Als würde sie Salz in seine Wunde streuen.
»Leute, die man liebt«, wiederholte er.
»Ich habe Brimstone gesagt, ich würde ihn nie verlassen, und das werde ich auch nicht. Ich werde ihn finden, egal, ob du mir hilfst oder nicht.«
»Und wie willst du das anstellen?«
»Ich habe andere Möglichkeiten«, erwiderte sie ausweichend. »Aber es wäre einfacher, wenn du mich hinbringen könntest.« Viel einfacher. Akiva wäre ein wesentlich angenehmerer Reisegefährte als Razgut.
Aber seine Antwort war eindeutig: »Das kann ich nicht. Das Portal wird bewacht. Die Wachen würden dich töten, ohne zu zögern.«
»Ihr Seraphim tötet anscheinend öfters, ohne zu zögern.«
»Die Monster haben uns zu dem gemacht, was wir sind.«
»Monster.« Karou dachte an Issas lachende Augen, an Yasris aufgeregtes Flattern und ihre tröstende Berührung. Sie nannte sie manchmal selbst Monster, aber liebevoll, so, wie sie Zuzana Giftzwerg nannte. Aus Akivas Mund war das Wort einfach nur abscheulich. »Bestien, Teufel, Monster. Wenn du auch nur eine Chimäre wirklich kennen würdest, würdest du nicht so über sie reden.«
Er sah zu Boden, ohne zu antworten, und ein angespanntes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Karou fand, dass er immer noch blass und kränklich aussah. Die Teetassen waren große Tonschalen ohne Griffe, und Karou hielt ihre in beiden Händen. So wärmte sie zum einen ihre Hände auf, die von der Kälte auf der Kathedrale durchgefroren waren, und verhinderte zum anderen, dass sie aus Versehen ihre Magie auf Akiva losließ. Seine Haltung spiegelte ihre eigene wider; auch er hatte die Hände um seine Schale gelegt, so dass ihr Blick unweigerlich auf seine Tattoos fiel.
Die schwarzen Linien traten hervor wie Narbengewebe, und Karou vermutete, dass sie mit Lampenruß eingeriebene Schnitte waren – eine primitive Tätowiermethode. Je länger sie sie ansah, desto stärker wurde das Gefühl, dass sie etwas darüber wusste – oder zumindest fast wusste. Es war, als stände sie an der Kreuzung zwischen Wissen und Nichtwissen, und der Wegweiser würde sich drehen, so dass sie nicht erkennen konnte, in welche Richtung sie gehen musste. Als würde sie versuchen, die Flügel einer Biene im Flug zu erkennen. Sie bekam den Gedanken einfach nicht zu fassen.
Akiva sah, wie sie auf seine Hände starrte, und das machte ihn offensichtlich verlegen. Er versuchte die eine Hand mit der anderen zu verdecken, als könnte er die Tätowierungen so auslöschen.
»Sind deine Tattoos auch magisch?«, fragte Karou.
»Nein«, antwortete er, ein bisschen schroff, wie sie fand.
»Haben sie eine Bedeutung?«
Er antwortete nicht, und Karou streckte, ohne nachzudenken, ihre Hand aus, um die Linien mit den Fingerspitzen nachzufahren. Die Tätowierung erinnerte sie an eine Strichliste; immer vier gerade Linien, die von einer fünften diagonal gekreuzt wurden. »Es sieht aus, als hättest du damit etwas gezählt«, sagte sie, während sie über seinen rechten Zeigefinger von einem Fünferblock zum nächsten strich – fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig … Jede Berührung war wie ein überspringender Funke und eine Aufforderung – eine Aufforderung, ihre Finger mit seinen zu verflechten und vielleicht sogar – Gott, was war nur los mit ihr? – seine Hand an ihre Lippen zu heben und die Male zu küssen.
Und
Weitere Kostenlose Bücher