Daughter of Smoke and Bone
du nicht am Boden zerstört wieder? Oder diesmal kommst du überhaupt nicht wieder?«
»Ich habe das alles nicht geplant. Ich konnte einfach nicht mehr dort bleiben«, versuchte er wenigstens einen Teil zu erklären; diesen Versuch war er ihnen schuldig. »Nach Loramendi war ich am Ende, es war, als würde ich am Rand des Abgrunds stehen. Es gab nichts mehr, was ich wollte, nichts außer …« Er ließ den Rest ungesagt, denn er musste es nicht aussprechen; seine Geschwister hatten ihn auf seinen Knien gesehen. Ihre Blicke fielen auf Karou.
»Außer
ihr
«, vollendete Liraz seinen Satz. »Außer diesem Menschenmädchen. Wenn sie denn wirklich ein Mensch ist.«
»Was sollte sie sonst sein?«, fragte Akiva und verdrängte die Angst aus seiner Stimme.
»Ich habe da so eine Theorie«, erwiderte Liraz, und Akivas Herz setzte einen Schlag aus. »Der Kampf letzte Nacht, als sie dich angegriffen hat, kam uns etwas seltsam vor. Nicht wahr, Hazael?«
»O ja«, stimmte Hazael zu.
»Wir waren nicht nahe genug, um irgendeine … Magie … zu bemerken, aber es hatte ganz eindeutig den Anschein, als könntest du sie spüren.«
Akivas Gedanken überschlugen sich. Wie konnte er Karou möglichst schnell von hier wegbringen?
»Aber offenbar hast du ihr vergeben.« Liraz kam einen Schritt auf sie zu. »Gibt es irgendetwas, was du uns sagen möchtest?«
Akiva wich zurück, Karou mit seinem Körper schützend. »Lasst sie in Ruhe.«
Doch Liraz kam unaufhaltsam näher. »Wenn du nichts zu verbergen hast, dann lass sie uns ansehen.«
Mit bekümmerter Stimme, die ihn mehr schmerzte als Liraz’ schneidender Ton, fügte Hazael hinzu: »Akiva, sag uns einfach, dass es nicht so ist, wie es aussieht. Sag uns einfach, dass sie nicht …«
Akiva spürte, wie die Jahre voller Geheimnisse ihn einholten wie ein Wirbelwind – ein Wirbelwind, von dem er hoffte, dass er ihn davontragen würde, zusammen mit Karou, an einen Ort ohne Seraphim, ohne Chimären und ohne ihren Hass, ohne Menschen, die um sie herumstanden und sie anstarrten, an einen Ort, an dem sich nichts zwischen sie drängen konnte. »Natürlich ist sie das nicht«, antwortete er, und die Worte waren wie ein wütendes Knurren. Liraz verstand es als Herausforderung, zu beweisen, was Karou
wirklich
war, und in ihren Augen blitzte derselbe Zorn auf, den sie auf dem Schlachtfeld zeigte. Sie kam näher.
Akivas Adrenalinpegel schoss in die Höhe, als er die Hände zu Fäusten ballte und sich für das wappnete, was nun folgen würde. Er konnte nicht glauben, dass es so weit gekommen war.
Aber was auch immer er erwartet hatte, es war nicht Karous klare, ruhige Stimme, die sagte: »Was? Was bin ich nicht?«
Liraz hielt inne, und ihr Zorn verwandelte sich in Staunen. Auch Hazael sah völlig verblüfft aus, und es dauerte einen Moment, bis Akiva klar wurde, was die beiden so überrascht hatte.
Karous Worte. Sie waren so klar wie fallendes Wasser, denn es waren Worte in seiner Sprache. Sie hatte die Sprache der Engel gesprochen, die sie unmöglich gelernt haben konnte. In dem Schweigen, das auf ihre Frage folgte, trat sie hinter dem Schild seiner Flügel hervor und stellte sich schutzlos vor Liraz und Hazael.
Mit derselben Wildheit, mit der sie ihn angelächelt hatte, bevor sie Akiva letzte Nacht attackiert hatte, sagte sie zu Liraz: »Wenn du meine Hände sehen willst, musst du nur fragen.«
Nicht nur töten
Alles, was sie brauchte, waren ein Lucknow aus ihrer Tasche und ein geflüsterter Wunsch, und aus dem melodiösen Fluss der Sprache der Seraphim wurden Worte, die sie verstehen konnte – eine weitere Sprache für ihre Sammlung. An dem harten Blick des weiblichen Engels und Akivas schützender Haltung hatte Karou erkannt, dass die Seraphim über sie redeten.
»Sag uns einfach, dass sie nicht …«, sagte der männliche Engel und hielt inne, als wäre das, was er meinte, zu schrecklich, um es auch nur auszusprechen.
Was dachten sie, wer sie war? Sollte sie einfach stumm dastehen, während die Seraphim über sie diskutierten?
»Was?«, fragte sie. »Was bin ich nicht?« Sie sah, wie ihre Gesichter vor Schreck erstarrten, und trat hinter Akiva hervor. Der weibliche Engel stand nur ein paar Schritte entfernt und starrte sie an. Sie hatte die toten Augen eines Gotteskriegers, und jetzt, wo Akiva nicht mehr zwischen ihnen stand, fühlte Karou sich sehr verletzlich. Sie dachte an ihre Mondsichelklingen, die nutzlos in ihrer Wohnung lagen. Doch dann wurde ihr bewusst, dass
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