DavBen-StaderDie
Kolja hin.
»Das ist ein Passierschein für euch beide, der auch bei Ausgangssperre gilt. Wenn euch jemand Schwierigkeiten macht, zeigt ihr ihn vor, dann könnt ihr weiter. Und noch etwas ...«
Er zog vier Hundert-Rubel-Scheine aus der Brieftasche und gab sie Kolja, der einen flüchtigen Blick auf den Propusk und das Geld warf und beides einsteckte.
»Dafür hätte ich im Juni tausend Eier bekommen«, sagte der Oberst.
»Und im nächsten Juni wieder«, sagte Kolja. »Der Fritz hält den Winter nicht durch.«
»Mit Soldaten wie dir«, sagte der Oberst, »bezahlen wir Eier bald mit deutschem Geld.«
Kolja machte den Mund auf, um sich zu verteidigen, aber der Oberst schüttelte warnend den Kopf.
»Ist euch klar, dass das ein Geschenk ist? Ihr bringt mir bis Donnerstag ein Dutzend Eier, und ich gebe euch euer Leben zurück. Ist euch klar, welchen Seltenheitswert dieses Geschenk hat?«
»Was für ein Tag ist heute?«
»Heute ist Samstag. Du bist am Freitag desertiert. Wenn morgen die Sonne aufgeht, ist Sonntag. Kannst du von da an allein weiterzählen? Ja? Gut.«
Borja kehrte mit einem blauen Teller und vier Scheiben Weißbrot zurück. Das Brot war dick mit etwas beschmiert, vielleicht mit Schweineschmalz, das glänzte und fetthaltig und nahrhaft wirkte. Hinter ihm kam ein zweiter Adjutant herein, der zwei Tassen mit dampfendem Tee brachte. Ich wartete auf den dritten Adjutanten, der tiefe Teller mit Fischsuppe bringen würde, aber der kam nicht.
»Beeilt euch mit dem Essen«, sagte der Oberst. »Ihr habt einen langen Fußmarsch vor euch.«
4
»Großnase. Gefällt mir. Wer war denn dein Vater, Großnase?« »Kennst du doch nicht.«
»Wenn seine Gedichte veröffentlicht wurden, kenne ich ihn.« »Vergiss es.«
»Du bist ziemlich launisch, stimmt's?«
Wir überquerten gerade wieder die Kamenno-Ostrowski-Brücke, diesmal zu Fuß. Kolja blieb auf halbem Wege stehen, legte die behandschuhten Hände auf das Brückengeländer und blickte flussabwärts in Richtung der Villa Dolgorukow. Die Tochter des Obersts zeichnete inzwischen keine Figuren mehr auf das Eis, aber Kolja sah trotzdem noch eine Weile hin, hoffte auf eine Zugabe.
»Sie hat mich angelächelt«, sagte er.
»Sie hat dich nicht angelächelt. Red doch keinen Unsinn. Sie hat ja nicht einmal zu uns hergesehen.«
»Vielleicht bist du eifersüchtig, mein Freund, aber sie hat mir definitiv ein Lächeln geschenkt. Ich glaube, ich habe sie schon mal gesehen, an der Universität. Ich habe einen gewissen Ruf.«
»Als Deserteur?«
Kolja drehte sich um und sah mich finster an. »Ich schlage dir die Zähne aus, wenn du mich noch ein Mal einen Deserteur nennst.«
»Und ich ramme dir mein Messer in die Augen, falls du es versuchst.«
Kolja überlegte einen Moment und wandte sich dann wieder dem Fluss zu.
»Bis du das Messer gezogen hast, habe ich dich längst erwischt. Ich bin sehr flink, wenn es sein muss.«
Ich dachte kurz daran, das Messer sofort zu ziehen, nur um ihm zu beweisen, dass er sich täuschte, aber er schien nicht mehr wütend zu sein, und ich wollte endlich weiter.
Wir überquerten die Brücke, kamen zurück aufs Festland und gingen am Wyborger Ufer entlang nach Süden, den Fluss zu unserer Rechten, die verrosteten Schienen der Finnland-Bahn drüben zur Linken. Seit September waren keine Züge mehr gefahren, da die Deutschen in dem Monat die Stadt einkesselten und die Gleise sämtlicher Bahnlinien aufrissen - nach Moskau, Witebsk, War schau, zur Ostsee -, alle unterbro chen und nutzlos. Die einzige Verbindung der Stadt mit dem übrigen Russland war nun der Luftweg, und nur wenige Flugzeuge schafften es durch die Patrouillen der deutschen Luftwaffe.
»Wir könnten natürlich abhauen. Ohne Lebensmittelkarten aber kaum zu machen.« Er dachte über das Problem nach. »Keine große Chance, es durch die deutschen Linien zu schaffen, wir sitzen also in Piter fest. Die Typen vom NKWD sind meine geringste Sorge. In der Armee heißt es, Polizisten könnten nicht einmal in einem Hurenhaus eine Muschi finden. Aber ohne Lebensmittelkarten ... heikel, heikel.«
»Wir müssen eben Eier auftreiben«, erklärte ich ihm. Wir waren auf freiem Fuß und an der frischen Luft, weil der Oberst es so befohlen hatte; falls ein Dutzend Eier die Bezahlung für diese Gnadenfrist war, dann würden wir eben verdammt noch mal ein Dutzend Eier auftreiben. Für Verhandlungen oder Tricks war keine Zeit.
»Die Eier aufzutreiben ist die beste Lösung, zugegeben. Das heißt
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