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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Moskau. Wir folgen einfach den Gleisen.«
    Timofei grunzte im Schlaf und rollte sich auf die Seite. Ich hatte inzwischen gelernt, dass Ärzte und Soldaten jeden nicht lebensbedrohlichen Krach verschliefen; mein Streit mit Kolja hätte ein leise gesungenes Wiegenlied sein können, wenn es nach dem Ausdruck stiller Zufriedenheit gegangen wäre, der auf Timofeis Gesicht lag. Ich betrachtete ihn und hasste ihn, hasste ihn, weil er auf seinem Lager aus Wolldecken schlafen durfte, warm und gemütlich und mit vollem Bauch, und kein Enkelsohn von Kosaken ihn schikanierte, kein NKWD-Oberst ihn hinaus in die Wildnis schickte, um Zutaten für eine Hochzeitstorte zu besorgen.
    Ich wandte mich wieder Kolja zu, der gerade mithilfe des Spiegels seine Mütze zurechtrückte, damit sie entsprechend kühn und fesch saß. Ihn hasste ich noch mehr, diesen fidelen großspurigen Mistkerl, der morgens um sechs so frisch und munter war, als käme er gerade von einem zweiwöchigen Urlaub am Schwarzen Meer zurück. Ich bildete mir ein, dass er noch nach Sex stank, obwohl ich in Wahrheit so früh am Tag überhaupt nichts riechen konnte, noch dazu, wo die Wohnung so kalt war. Meine große Nase war pure Schau, eine gute Zielscheibe für den Spott von Rabauken, aber erstaunlich schlecht im Wahrnehmen von Gerüchen.
    »Du hältst es also für verrückt «, sagte er, »aber jeder Einzel ne von den ganzen Halsabschneidern, die auf dem Heumarkt Kartoffeln zu zweihundert Rubel verkaufen, bringt seine Ware vom Land in die Stadt. Jeden Tag kommen alle möglichen Leute durch die Linien. Warum dann nicht wir?«
    »Bist du besoffen?«
    »Von einer Viertelflasche Wodka? Wohl kaum.« »Es muss doch was Näheres als Mga geben.« »Sag mir, wo.«
    Inzwischen war er dem kalten Wetter entsprechend eingemummt, sodass nur noch sein Gesicht mit den blonden Stoppeln eines Viertagebartes zu sehen war. Er wartete darauf, dass ich eine Alternative zu seinem blödsinnigen Plan vorschlug, aber als die Sekunden verstrichen, wurde mir klar, dass ich keine parat hatte.
    Er lächelte mich an, ein Lächeln, das jedem Rekrutierungsplakat der Roten Flotte Ehre gemacht hätte.
    »Die ganze Sache ist ein verdammter Witz, einverstanden. Aber ein ziemlich guter Witz.«
    »Oh ja, ein toller Witz. Und das Allerkomischste daran ist, dass wir da draußen krepieren werden und die Tochter vom Oberst ihre Torte nicht bekommt und kein Mensch je erfährt, was wir überhaupt in Mga verloren hatten.«
    »Reg dich ab, mein morbider kleiner Israelit. Ich pass schon auf, dass dich die bösen Buben nicht erwischen ...«
    »Ach, leck mich doch!«
    »... aber wir müssen jetzt los. Wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit da sein wollen.«
    Ich hätte ihn ignorieren und weiterschlafen können. Der Ofen war während der Nacht ausgegangen, der letzte Holzspan verbrannt, aber unter all den Wolldecken war es noch immer warm genug. Schlafen war vernünftiger, als nach Mga zu marschieren - wo die Deutschen zu Tausenden warteten - und nach Hühnern zu suchen. Alles war vernünftiger als das. Aber so vehement ich auch gegen diese absurde Idee protestierte, wusste ich doch von Anfang an, dass ich mitkommen würde. Kolja hatte recht: In Leningrad gab es keine Eier. Aber das war nicht der einzige Grund mitzukommen. Kolja war ein Aufschneider, ein Besserwisser, ein Juden schindender Kosak, aber sein Selbstbewusstsein war so absolut und ungetrübt, dass es schon nicht mehr wie Arroganz wirkte, sondern le diglich wie das Merkmal eines Mannes, der mit seinem heroischen Schicksal im Einklang war. So hatte ich mir meine Abenteuer nicht vorgestellt - ich wollte der Hauptdarsteller sein, nicht die Witzfigur am Rand -, doch die Realität scherte sich von Anbeginn an nicht um meine Wünsche, sondern gab mir einen Körper, der bestenfall s geeignet war, in einer Biblio thek Bücher zu sortieren, und träufelte mir so viel Angst in die Adern, dass ich mich nur im Treppenhaus zusammenkauern konnte, wenn es brenzlig wurde. Vielleicht würden meine Arme und Beine eines Tages kräftige Muskeln entwickeln und die Angst ablaufen wie schmutziges Badewasser. Ich wünschte, ich hätte daran geglaubt, doch das tat ich nicht. Ich war mit dem Pessimismus der Russen wie der Juden gestraft, zwei der schwermütigsten Völker der Welt. Aber auch wenn keine Größe in mir steckte, so hatte ich doch vielleicht das Talent, Größe in anderen zu erkennen, sogar in denen, die mich am meisten in Rage brachten.
    Ich stand auf, nahm meinen Mantel

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