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SEKUNDEN UND ES WIRD KEINE BOLSCHEWIKEN MEHR GEBEN.
Die Wehrmacht hatte das Schulhaus als Kommandozent rale requiriert. In der Zufahrt standen sechs Kübelwagen und ein barhäuptiger Soldat, das blonde Haar so kurz und gelb wie der Flaum eines frisch geschlüpften Kükens. Er tankte einen davon mit einem grünen Benzinkanister auf. Er verfolgte ohne sichtliches Interesse, wie sich die Kompanie mit ihrer Gefangenenkolonne näherte.
Offiziere gaben Befehle, Soldaten traten aus dem Glied, die meisten Deutschen gingen in das Schulhaus hinein, streiften schon auf dem Weg dorthin ihre schweren Rucksäcke ab, plauderten miteinander, laut und fröhlich, bereit für eine Dusche (falls es Wasser gab) und eine warme Mahlzeit. Die übrigen Gebirgsjäger, ein Zug von vierzig Mann, verärgert, dass sie noch Dienst hatten, und missmutig vor Hunger und Erschöpfung, nachdem sie den ganzen Tag durch die endlosen russischen Wälder gestapft waren, stießen uns die Schmalseite des Gebäudes entlang.
Dort erwartete uns ein deutscher Offizier, der sich auf einem Klappstuhl zurückgelehnt hatte und rauchend eine Zeitung las. Er blickte beiläufig lächelnd auf, als wir in Sichtweite waren, erfreut, uns zu sehen, als wären wir alte Bekannte, die er zum Abendessen eingeladen hatte. Er legte die Zeitung weg, stand dann auf, inspizierte nickend unsere Gesichter, den Zustand unserer Kleidung, die Qualität unserer Stiefel. Er trug eine graue Waffen-SS-Uniform mit grünen Aufschlägen an den Ärmeln, seinen grauen Mantel hatte er über der Rückenlehne des Klappstuhls hängen lassen. Vika, die neben mir ging, murmelte: »Einsatzgruppen.«
Als wir uns halbwegs in Reihen aufgestellt hatten, ließ der Einsatzgruppenoffizier seine Zigarette in den Schnee fallen und nickte dem schlaffhä utigen Dolmetscher der Gebirgsj äger zu. Die beiden unterhielten sich in gutem Russisch, als wollten sie vor ihren lauschenden Gefangenen angeben.
»Wie viele?«
»Vierundneunzig. Nein, zweiundneunzig.«
»Ach ja? Und zwei konnten sich uns nicht anschließen? Sehr gut.«
Der Offizier stellte sich uns gegenüber, blickte von Mann zu Mann, sah jedem in die Augen. Er war ein stattlicher Mann, hatte die schwarze Uniformmütze schräg von der sonnengebräunten Stirn nach hinten geschoben und einen schmalen Oberlippenbart, der ihm die Ausstrahlung eines Jazzsängers verlieh.
»Ihr braucht keine Angst zu haben«, verkündete er uns. »Ich weiß, ihr habt die Propaganda gelesen. Die Kommunisten wollen euch weismachen, wir seien Barbaren und hergekommen, um euch umzubringen. Aber ich blicke in eure Gesichter und ich sehe anständige, ehrliche Arbeiter und Bauern. Ist auch nur ein einziger Bolschewik unter euch?«
Keiner hob die Hand. Der Deutsche lächelte.
»Das dachte ich mir. Euch kann man nichts vormachen. Ihr habt begriffen, dass der Bolschewismus nichts anderes ist als der radikalste Ausdruck des ewigen jüdischen Strebens nach Weltherrschaft.«
Er besah sich die ausdruckslosen Gesichter der russischen Männer, die vor ihm angetreten waren, und zog nachsichtig die Schultern hoch.
»Aber wir brauchen keine billigen Phrasen. Ihr kennt die Wahrheit in- und auswendig, und nur darauf kommt es an. Es gibt keinen Grund für Konflikte zwischen unseren Völkern. Wir haben beide den gleichen Feind.«
Er gab einem der Gebirgsjäger ein Zeichen, der daraufhin einen Stapel Zeitungen aus einer Kiste neben dem Klappstuhl nahm und sie auf fünf seiner Kameraden verteilte. Diese gingen die Reihen der Gefangenen ab und händigten jedem Russen eine Zeitung aus. Mein Exemplar war die Komsomolskaja Prawda; Vika und Kolja bekamen die Krasnaja Swesda.
»Ich weiß, dass dieser Sachverhalt schwer zu verstehen ist, nach der jahrelangen Propaganda. Aber glaubt mir, die Wahrheit ist: Der deutsche Sieg wird ein Sieg für das russische Volk sein. Vielleicht versteht ihr das jetzt noch nicht, aber ihr werdet es bald verstehen, und eure Kinder werden es dereinst wissen.«
Die untergehende Sonne machte Riesen aus unseren Schatten. Der Einsatzgruppenoffizier genoss den Klang seiner eigenen Worte und den Eindruck, den er auf uns machte. Sein Russisch war technisch perfekt, obwohl er keinen Versuch unternahm, seinen Akzent zu verbergen. Ich fragte mich, wo er die Sprache gelernt hatte, ob er in einer der deutschen Kolonien in Melitopol oder Bessarabien geboren war. Er blickte hinauf zu einer Ellipse aus drei kleinen Wolken weit über uns am silbrig werdenden Himmel.
»Ich liebe dieses
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