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DavBen-StaderDie

Titel: DavBen-StaderDie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Mörsern beschossen zu werden.
    Kolja verdrehte die Augen, als er sah, wie die Gebildeten sich gegenseitig beglückwünschten. »Schau sie dir an«, knurrte er leise. »Die wollen einen Preis, weil sie Zeitung lesen können. Und schau mal, wie herablassend die Fritze sind. Vielleicht trage ich ihnen das erste Kapitel von Eugen Onegin vor. Ob sie das beeindruckt? Sechzig Strophen, und wie aus der Pistole geschossen. Glauben die, sie seien das einzige Kulturvolk in Europa? Wollen die wirklich Goethe und Heine gegen Puschkin und Tolstoi ausspielen? Ich gebe zu, in der Musik liegen sie vorn. Obwohl der Abstand kleiner ist, als sie denken, aber die Musik gestehe ich ihnen zu. Und die Philosophie. Aber die Literatur? Nein, die nicht.«
    Der Einsatzgruppenoffizier mit der schwarzen Uniformmütze war nur noch zwei Männer von Kolja entfernt, der links von mir in der Reihe stand. Ich spürte, wie eine behandschuhte Hand meine Rechte drückte, und drehte mich zu Vika um, deren blasses Gesicht mir zugewandt war und die mich trotz der tief stehenden Sonne ohne zu blinzeln mit ihren wilden Augen ansah. Sie hatte nach meiner Hand gefasst, um mich vor etwas zu warnen, hielt sie aber länger fest, als unbedingt nötig war - zumindest bildete ich mir das ein. Ich konnte sie dazu bringen, mich zu lieben. Wieso nicht? Auch wenn sie mir gegenüber bisher nur gelangweilte Verachtung an den Tag gelegt hatte.
    »Du kannst nicht lesen«, teilte sie mir in ihrem geübten Flüsterton mit, der so leise war, dass ihn sonst niemand hören konnte. Sie sah mich unverwandt an, um sicherzugehen, dass ich kapiert hatte. Aber ausnahmsweise musste man mir diesmal nichts erklären.
    Der Offizier, so gedul dig und wohlwollend wie ein Pro fessor, hörte dem Soldaten der Roten Armee zu, der neben Kolja stand.
    »Schon bald wird in Europa die große Fahne der Freiheit für die Völker wehen ...«
    »Gut.«
    »... und Frieden herrschen zwischen den Völkern.« »Gut, gut. Nach rechts.«
    Ich stieß Kolja mit dem Ellbogen an. Er blickte flüchtig her, ungeduldig, begierig darauf, diesem gönnerhaften Faschisten das wahre Antlitz der schöngeistigen Literatur Russlands zu zeigen. Ich machte eine knappe Kopfbewegung. Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, doch da trat der Offizier zu ihm. Ich hatte keine Chance, etwas zu sagen. Ich konnte ihm nur fest in die Augen blicken und hoffen, dass er kapiert hatte.
    »Aha, ein prächtiger junger Mann aus der Steppe. Stammst wohl von Donkosaken ab?«
    Kolja stellte sich gerade hin. Er war größer als der Offizier, und ein paar Sekunden lang blickte er auf den Deutschen herab, ohne den Mund aufzumachen.
    »Nicht, dass ich wüsste. Bin in Piter geboren und aufgewachsen.«
    »Wunderschöne Stadt. Eine Schande, sie Leningrad zu nennen. Hässlicher Name, stimmt's? Ich meine, ganz abgesehen von den politischen Hintergründen. Passt irgendwie nicht zu ihr. Sankt Petersburg, das ist ein Name, der hat Klang. Und eine lange Geschichte! Ich war nämlich mal da. Auch in Moskau. Werde beide vermutlich in Kürze wieder besuchen. Na, dann zeig mal, was du kannst.«
    Kolja nahm die Zeitung hoch und studierte das Gedruckte. Er holte tief Luft, machte den Mund auf, um anzufangen - und lachte, schüttelte den Kopf, hielt die Zeitung dem Deutschen hin.
    »Ich kann nicht mal so tun als ob. Tut mir leid.«
    »Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen! Schultern wie deine wären an einem Schreibtisch pure Verschwendung. Du bist schon recht, du schaffst das.«
    Kolja nickte und lächelte den Offizier an wie ein blendend aussehender Schwachsinniger. Er sollte sich der Gruppe der Analphabeten anschließen, doch er blieb neben mir stehen, die Hände in den Manteltaschen.
    »Ich will nur sehen, ob's mein Freund besser kann«, sagte er.
    »Nun, schlechter kann er's ja nicht machen«, sagte der Offizier und lächelte ebenfalls. Er stellte sich vor mich hin und musterte mich. »Wie alt bist du? Fünfzehn?«
    Ich nickte. Ich wusste nicht, ob es sicherer war, fünfzehn zu sein oder siebzehn; ich log einfach instinktiv.
    »Woher stammen deine Großeltern?«
    »Aus Moskau.«
    »Alle vier?«
    »Ja.« Ich log jetzt ganz automatisch, überlegte nicht einmal, bevor ich sprach. »Meine Eltern haben sich da kennengelernt.«
    »Du siehst mir aber nicht russisch aus. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, du bist Jude.«
    »So nennen wir ihn auch immer«, sagte Kolja, zerzauste mir das Haar und grinste. »Unser kleiner Jude! Macht ihn

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